Amsterdam // der erste Kick

Nach über einem halben Jahr schaffe ich es nun endlich von meiner ersten Erfahrung mit Ecstasy zu berichten. Es fühlt sich an als wäre es eine halbe Ewigkeit her, aber noch immer denke ich oft an die Reise zurück. Es heißt, das erste Mal sei immer das Beste und alles danach komme nie wieder an das gleiche Gefühl heran. Hmm, vielleicht stimmt es.

Seit etwa einem halben Jahr lebte ich nun schon in Wien und war dem Sex verfallen. Ich hatte sowas wie eine Freundschaft-Plus und liebte die gemeinsame Zeit. Nur leider sind solche Dinge nicht von Dauer. Je bessere Freunde wir wurden, desto weniger war er an Sex interessiert. Und dabei war ich körperlich abhängig von ihm. Ich wollte mehr und konnte nicht loslassen. Und je mehr Typen er traf; je öfter er online war; je öfter er mir von seinen Erlebnissen berichtete, je stärker war ich versucht es ihm gleich zu tun. Er war 20, ich 39. Obwohl ich deutlich älter war und somit reifer sein sollte, wollte ich mir selbst beweisen, dass man genauso viel Spaß haben kann.

So verbrachte ich die meiste Zeit online auf einer der vielen Gay-Dating-Apps und meine Hemmschwelle sank immer tiefer. So häufte ich über kurze Zeit eine ganze Masse an Typen an. Zudem stieg ich beruflich in ein Projekt ein, wofür ich regelmässig von Wien nach München pendeln musste. Umso besser, neue Stadt, neue Typen! Ein nicht enden wollender Strom an Erfahrungen. Aber je mehr ich in diese Welt einstieg, desto grauer wurde sie. Ich wollte eigentlich nur den einen. Nicht als festen Freund, sehr wohl aber im Bett. Ich konnte mich gedanklich einfach nicht lösen und so versuchte ich mich mit immer mehr Arbeit und immer mehr Typen abzulenken.

Durch das viele Reisen vernachlässigte ich mein Privatleben. Mir fehlte jeder Anreiz zum Urlaub machen oder Reisen. Ich war froh einfach mal daheim zu sein. Und so langsam fühlte ich wie ich aus diesem Kreis ausbrechen musste. Und es bot sich eine gute Gelegenheit. Ein Freund war für ein Erasmus-Semester in Utrecht in den Niederlanden. Da seine Zeit langsam vorbei war, wollte ich ihn unbedingt noch vorher besuchen. So legten wir uns auf ein Wochenende fest und ich buchte den Flug. 220 Euro waren nicht billig, aber ich freute mich. Tags zuvor kam ich gerade erst aus München zurück; warf die Wäsche auf einen Haufen und packte meinen Rucksack erneut. Auf ging es zum Flughafen. Freitag Abend von Wien nach Amsterdam. Am Sonntag sollte es dann zurückgehen und Montag schon wieder nach München.

Wie zu erwarten, was es in Holland schneidend kalt. Ich nahm den nächst besten Zug von Amsterdam Shipol nach Utrecht. Der moderne Bahnhof war riesig und kaum draußen, pfiff mir der eisige Wind ins Gesicht. Das Wohnheim in dem mein Freund wohnte, war etwa 10min zu Fuß entfernt. Da sie aber gerade mit Pizza und Bier beschäftigt waren, hatte niemand Lust mich abzuholen. So stand icj allein am Bahnhof und ging ich allein durch die Nacht.

Später plauderten wir in gemütlicher Runde die halbe Nacht. Der nächste Tag sollte eine schnelle Tour durch Holland werden. Erst eine kurze Tour und Frühstück in Utrecht, dann mit dem Zug nach Rotterdam und über einen Spaziergang mit Abendessen Leiden dann zum Schluß nach Amsterdam. Der Plan war die restlichen Freunde aus dem Wohnheim zu treffen und gemeinsam mit ihnen auf einee Techno/House-Party zu gehen. Mein Kumpel hatte zudem bei einem Freund eine Pille Ecstasy bestellt. Wie sich herausstellen sollte, bekommt man in Holland das beste Zeug zu besten Preisen und zu bester Qualität. Aber zu dem Zeitpunkt war ich einfach ein Neuling, der von nichts eine Ahnung hatte.

So kamen wir gegen 22 Uhr am Bahnhof Amsterdam Central Station an und stiegen in den Bus, der uns direkt zum Club bringen sollte - Market Cantine. Viel mehr hab ich in Summe dann von Amsterdam auch nicht gesehen. Aber es sollte eine tolle Nacht werden. Der Slogan der Veranstaltung vermittelte schon eine Idee davon - „Wild as the Moon“. Vorm Club warteten bereits die anderen. Die Übergabe der bestellten Pille verlief problemlos und schließlich standen wir in der Schlange. Eigentlich war es viel zu früh zum fortgehen. Im Club war es dann auch noch gemütlich leer. Wir wanderten durch die verschiedenen Räume, machten lustige Fotos, tratschten und freuten uns auf die Musik.

Eigentlich wollte ich in eine bekannte Gay-Sauna, welche nur unweit vom Club ist. Dort hatte meine Wiener Bekanntschaft eine wilde Nacht verbracht und ich wollte es ihm gleich tun. Aber ich wie sollte ich mich von meinen Freunden lösen? Meine Gedanken kreisten zwischen Sauna und Club. Der Gruppenzwang hielt mich fest und am Ende sollte ich es nicht bereuen.

Der Abend startete mit einer Gruppen-Therapie oder vielmehr einer Massen-Meditation. Das gesamte Publikum saß am Boden und lauschte der einschläfernden Stimme der Moderatorin. Wir saßen am Rand, grinsten uns an und überlegten, ob wir im falschen Film gelandet sind. Erst später setzte dann die Musik ein und der Club wurde immer voller. Musikalisch würde ich es als Tribal-House bezeichnen. Kein harter Techno, sondern eher melodischer Dream-House. Nicht so mein Geschmack, aber man gewöhnt sich dran.

Neben den verschiedenen Floors gab es sowas wie eine Ruhe-Rückzugs-Ecke wo an verschiedenen Ständen Ethno-Artikel wie Kopftücher, Traumfänger und ähnliches angeboten wurden. Wir hockten gemütlich auf einer Couch und mein Freund fragte mich, ob wir nun was nehmen wollem. Früher war ich strikt dagegen. Aber durch Wien war meine Hemmschwelle nun schon sehr niedrig, so sagte ich einfach zu. Beide waren wir total nervös, weil wir nicht wussten was auf uns zukommt. Wie kleine Kinder mit einem neuen Spielzeug, betrachteten wir die kleine weiße Pille. Mein Freund hatte schon etwas Erfahrung und so riet er dazu, dass wir jeweils mit einem Viertel anfangen. Er zerbrach die Tablette, bis ein Stück von einer Hälfte ab und gab mir das restliche Viertel.

Niemand klärte mich auf was mich erwarten würde und auch ich dachte gar nicht drüber nach. Natürlich hatte ich eine Vorstellung von einem Rausch im Kopf, aber die Realität war dann ganz anders. Die einzigen Ratschläge, die er mir auf den Weg gab waren die, keinen Alkohol zu trinken und auf die Wirkung etwa eine Stunde zu warten. Aber kein Wort darüber wie die Wirkung denn sein würde und wie ich mich verhalten solle. Es ist Mitternacht und wir warten.

Zurück auf der Tanzfläche verfliegt die Zeit. Natürlich warte ich innerlich auf die Wirkung. Da ich nicht weiß was mich erwartet, achte ich auf jede Veränderung und lausche kaum der Musik. Nach mehr als einer halben Stunde merke ich ein leichtes Kribbeln auf der Haut. Mein Blick klart sich ungemein auf und ich nehme die Musik, die Farben und das Licht wunderbar klar wahr. Es fühlt sich super angenehm an. Doch auf einmal kommt der richtige Kick und ich kann zu dem Zeitpunkt nicht damit umgehen. Mein Magen verkrampft sich und ich bekomme das Gefühl als müsse ich gleich kotzen. Natürlich habe ich Angst mich auf der Tanzfläche zu übergeben. Hinzu kommt ein plötzlicher Panikanfall. Alles wird mir zu eng. Die Leute um mich herum wirken zu eng und zu viel, so dass ich das plötzliche Gefühl hab hier nur noch raus zu müssen. Absolute Klaustrophobie!

Nachdem ich mich gerade noch selbst beherrschend durch die Menge zum Ausgang Richtung Vorraum gekämpft habe, stehe ich allein. Mein Blick zuckt wild umher und ich versuche langsam tief durchzuatmen. Hier ist es deutlich kühler als am Dance Floor und diese Frische tut mir gut. Am Ende des Flurs sehe ich eine Treppe nach oben, die nicht benutzt wird. Ich will allein mit mir selbst sein. Ich will meinen Bauch und meinem Kopf unter Kontrolle kriegen. So setze ich mich allein auf die Treppe, verschränke meine Arme und umfasse mich selbst. Hier sitze ich verloren mit mir allein, blicke schräg zurück auf den Flur und denke an nichts weiter.

Obwohl die frische Luft mir ein Frösteln bereitet, schwitze ich wie wahnsinnig. Ich habe dicke Schweißperlen auf der Stirn und mein T-Shirt fängt an auf meiner naßen Haut zu kleben. Mein Freund schreibt mir eine SMS und fragt, ob alles in Ordnung sei und ob es mir gut geht. Ich kann mich gerade noch genug konzentrieren, um ihm zu antworten, dass alles okay sei und ich nur einen Moment brauche.

Ich weiß nicht mehr, ob ich 10min oder gar eine Stunde dort gesessen bin. Aber irgendwann hatte ich das Gefühl im Griff. Die Übelkeit verflog und wich einer freudigen Energie. Gut gelaunt kehrte ich zurück auf die Tanzfläche zu den anderen. Sie hießen mich wunderbar willkommen und gemeinsam tanzten wir in die Nacht. Durch die erste Wirkungsphase sehnte sich jeder nach sanfter Berührung. So streichelten wir uns alle gegenseitig, oder tanzen mal neben oder voreinander.

Mein Freund fragt mich, ob es mir wirklich gut gehe. Er grinst dabei schelmisch und wirkt genauso zufrieden wie ich. Und ja, es ging mir hervorragend. So teilen wir uns die zweite Hälfte. Ich weiß nicht mehr wann deren Wirkung einsetzte und ich weiß auch nicht mehr wieso es dann recht schnell schon 5 Uhr morgens war. Rückblickend gesehen war eine halbe Pille nicht viel und ich rückblickend kann ich sagen, dass ich auch keinen richtig echten Energiekic hatte. Dafür war die emphatische Wirkung umso stärker. Ich erzitterte bei jeder Berührung und konnte mich kaum beherrschen nicht alle anderen ebenfalls zu berühren.

Einer seiner Freund hatte weitere Freunde mitgebracht und ich hatte mich in einen von ihnen verguckt. Er tanzte vor mir und ich hinter ihm. Ich versuchte ihn zu berühren und traute mich doch nicht. Er lies es sich gefallen und machte auch mit, aber eine klare Reaktion, die als Ja zu deuten wäre, blieb aus. Noch immer bin ich voller Energie, total klar im Kopf und kein bisschen müde. Während wir tanzen schaue ich mich um und merke, dass wirklich jeder etwas genommen hat oder gerade mitten auf der Tanzfläche was nimmt. Überall geweitete Pupillen und schwitzende Menschen. Der Typ auf den ich es abgesehen hatte, schwitzt ebenso wie verrückt. Später erzählt er mir, dass er über den Abend 3 Pillen genommen hat - way too much.

Auch ich bekomme nun langsam die Nebenwirkungen mit. Mein Kiefer schmerzt und ich renne ständig zum WC und hole Wasser. Wenn ich nicht Wasser trinke, fühlt sich mein Rachen wie eine Wüste an. So trocken, dass es schon fast weh tut. Und am WC sehe ich, dass es vielen so ergeht. Erst später merke ich, dass jeder am Kaugummi kauen ist, als Vorsorge gegen die Kieferschmerzen. Toll, dass es mir niemand gesagt hat. Davon abgesehen, passen wir in der Gruppe alle sehr auf einander auf. Jeder beobachtet den anderen, kümmert sich um genügend Nachschub an Wasser oder ein wenig Zärtlichkeit. Ein traumhaftes Gefühl.

Erst in den frühen Morgenstunden setzt bei einigen die Erschöpfung ein. Ich bin noch immer hellwach, aber die ersten aus der Gruppe brechen auf und nehmen den Zug heim. Wir bleiben noch etwa eine Stunde, bis auch wir Richtung Bahnhof aufbrechen. Im Zug nach Utrecht schlafen alle tief und fest. Sie sind erledigt von der Nacht. Nur ich bin noch wach genug und schaue aus dem Fenster. Gegen 8 Uhr sind wir im Wohnheim und mein Flug geht schon am frühen Nachmittag. Das wird ein kurzer Schlaf.

Nach wenigen Stunden krieche ich aus meinem Schlafsack. Mein Kumpel hat mir Poridge gekocht und so sitzen wir über die letzte Nacht plaudernd am Tisch. Er schaut mir in die Augen und lacht über meine noch immer total offenen Pupillen. Am Bahnhof verabschieden wir uns ich mache mich auf zum Flughafen. In der mega langen Schlange wartender Menschen an der Sicherheitskontrolle fällt mir auf, dass viele der Reisenden genauso übermüdet sind wie ich. Einigen sehe ich ebenfalls die weiten Pupillen an. Wieder andere bewegen sich nervös hin und her. Sie sind wohl noch immer im Rausch und können sich nicht konzentrieren. Ich lächle zu mir selbst und fühle mich in bester Gesellschaft. Kein bisschen Scham oder Reue zeigt sich. Es fühlt sich an als gehöre ich nun endlich dazu.

Im Flugzeug höre ich über die Kopfhörer Musik und bin nach wie vor gut gelaunt. Freunde hatte mich vor dem Tief am nächsten oder übernächsten Tag gewarnt. Aber bisher spürte ich nichts davon. Vielmehr sollte mich diese positive Erfahrung die nächsten Wochen begleiten. Wie ein kleines Kind erzählte ich Freunden und Kollegen von meinem Urlaub und meiner Erfahrung. Dieses wohlige Gefühl der Zuneigung war unglaublich stark. Selbst Wochen später wollte ich unbedingt wieder auf Ecstasy high sein. Nur hatte ich keine Ahnung woher ich es bekommen sollte. Zudem schien niemand darauf erpicht zu sein mit mir auf einen Trip zu gehen.

Gefühlt konnte ich über nichts anderes mehr reden und sehnte mich nach dem nächsten Erlebnis. Selbst als ich dann Freunde in einer anderen Stadt besuchte und wir gemeinsam fortgingen, wollte ich unbedingt high werden. Ich war richtig sauer, dass es dort keine Dealer gab und sich niemand auskannte. Dennoch war auch das ein mega toller Abend, nur eben mit reichlich Alkohol und Kopfschmerzen am nächsten Tag.

Über die nächsten Wochen testete ich dann den ein oder anderen Joint mit Freunden, aber es stellte sich nie eine euphorische Wirkung ein. Vielmehr verlangsamte sich alle und ich fühlte mich schlapp. Genau der gegenteilige Effekt zu dem was ich auf Ecstasy erlebt hatte. Mich widerte das an. In Gedanken heulte ich noch immer Amsterdam hinterher. Die Stadt hatte sich auf ewig in mein Gedächtnis gebrannt.


You'll only receive email when they publish something new.

More from Way down we go
All posts