Wien // und es war an einem Sonntag

Sonntag, früher Abend. Durch die Umstellung auf Winterzeit, ist es draußen schon dunkel. Normalerweise umfängt mich an solchen Sonntagen eine unangenehme Depression. Aber heute zum Glück nicht. Ein Wochenende Wandern mit bestem Herbstwetter und einem ordentlichen Anstieg, von über 1.500 Höhenmetern hinauf auf über 2.000m, liegt hinter mir und ich spüre es angenehm in den Oberschenkeln. Dieser leichte Schmerz, der dir sagt, dass du dich bewegt hast und dir was gutes getan hast. Es ist der Sonntag eines verlängerten Wochenendes. Am Donnerstag war Allerheiligen und Freitag waren nur wenige Kollegen arbeiten.

Da ich in den letzten Wochen viel auf Reisen war und auch Montag wieder los muss, hatte ich mir vorgenommen die 4 Tage daheim zu bleiben und einfach mal nichts zu machen. Durch Zufall kam das Wandern dazwischen und so freue ich mich erst jetzt am Sonntag Abend auf die Ruhe daheim. Besser gesagt, auf ein paar Stunden am PC. Ich hab mir vorgenommen einige Runden gemeinsam mit den anderen Online-Süchtlern zu zocken. Von 4 Tagen geplanter Ruhe bleibt nur der Sonntag Abend übrig. So zumindest der Plan.

Der Wanderrucksack ist bereits ausgepackt und die Kleidung für die kommende Reise kann ich leicht morgen früh einpacken. Nun sitze ich im kleinen Zimmer, schalte den PC ein und freue mich auf die kommenden Spiele. Im Zimmer ist es schummrig. Das Licht ist aus und nur der Bildschirm beleuchtet den Raum. Während der PC startet, hole ich mir ein Glas Wasser.

Gestern gab es genug Bier und eigentlich wollte ich heute nichts trinken. Leider ging dieses Vorhaben schon am Nachmittag schief. Ich hatte einen Freund außerhalb von Wien besucht und wir hatten gemeinsam eine Flasche guten Wein geleert. Endlich startet Windows auf dem PC. Ich betrachte den Staub auf dem Schirm und ignoriere ihn. Mein Blick landet auf der Gaming-Maus, aus welcher ein grünes Licht leuchtet und so die voreingestellte Bewegungsempfindlichkeit anzeigt. Obwohl der PC wirklich schnell startet, dauert es mir noch immer zu lange. So greife ich zum Handy und surfe auf einer der vielen Dating-Apps. Naja, eigentlich eher eine Sex-App. Immer gleiche Gesichter starren dich in gleichmässig geformter Kacheloptik an. Jedes versucht dein Interesse zu erhaschen. Nur ein Fingertip auf eine Kachel und man erhält zum Bild auch noch die weitere Daten, wie sexuelle Vorlieben, Alter und Interesse. Alles auf das Notwendigste reduziert. Ein Wisch mit dem Finger nach links oder rechts und schon ist dein Interesse an der ersten Person in einem Bruchteil einer Sekunde verflogen und dein Augenmerk richtig sich auf die neue Person. Ein Jahrmarkt der Eitelkeiten, aber auch ich bin Teil davon.

Gerade sonntags fühlen wir uns alle allein und so sind heute besonders viele online. Die Hälfte davon total uninteressant, die andere Hälfte dagegen nicht an mir interessiert. So stelle ich mich innerlich auf einen gemütlichen Abend vorm PC ein, welcher nun endlich hochgefahren ist. Außerdem muss ich morgen sowie früh raus. Mein Interesse an einem realen Date hält sich heute in Grenzen. Ich lege das Handy zur Seite, gebe mein Passwort am PC ein, starte das Spiel und wähle mich auf dem Server ein, wo ich mich mit den anderen Spielern unterhalten kann. Wie erwartet sind einige online und schnell findet man sich mit bekannten Stimmen im immer gleichen kurzweiligen Baller-Spiel wieder. Wir spielen PUBG - Player Unknown Battle Grounds. In den ersten Runden sterbe ich als einer der ersten im Team und muss nun warten wie sich der Rest des Teams schlägt. Wenn sie gut sind, kann das durchaus sehr lange dauern. Daher hänge ich schon wieder am Handy und wische die Typen von rechts nach links. Was nach Stress und Hyperaktivität klingt, ist für mich die beste Entspannung. Aber wieso kann ich nicht einfach den ruhigen Sonntag genießen und das Handy liegen lassen? Wieso nicht den PC ausschalten und ein Buch lesen?

Einige Runden später schreibt mich ein Typ an, den ich schon oft online gesehen habe. Er hat mich schon mehrmals angeschrieben und irgendwie sind wir nie zusammen gekommen. Mittlerweile war es also schon eher nervig, wenn er mich erneut anschrieb. Er wollte mich schon so oft zu einem Treffen überreden, aber ich habe es immer ignoriert. Eigentlich ist er optisch ansprechend, entspricht jedoch nicht meinem Jagdmuster und ist obendrein sehr aufdringlich. Auch wenn wir alle das Gleiche suchen, haben wir doch Grenzen und können sogar hin und wieder nein sagen. Zumindest rede ich mir das ein oder halte mich wohl für was Besseres. Auch hier gleichen wir uns unterm Strich alle. Aber nach zwei Tagen Landluft bin ich einfach geil und schraube meine Ansprüche runter. Mir bleibt nur Sonntag Abend, da ich morgen schon wieder unterwegs bin. Daher ist jetzt nicht die Zeit für Eitelkeiten.

Da er groß und muskulös ist, beschließe ich in Gedanken schonmal heute die passive Rolle einzunehmen und mich vielleicht doch auf das Abendteuer einzulassen. Nach ein paar nichtssagenden Floskeln und dem Austauschen von Bildern, die ich sowieso schon kenne, schickt er mir seinen GPS-Standort. Nicht weit weg! Nur etwa 1km! Aber genau in die Richtung ist sind die Verbindungen mit den Öffentlichen schlecht. Und mit dem Rad kommt nicht in Frage! Die Straße in diese Richtung geht ordentlich bergauf. Da ich gestern erst wandern war und vorhin geduscht hatte, habe ich jetzt keine Lust Rad zu fahren, schon gar nicht bergauf. Zu mir einladen will ich ihn aber auch nicht. Heute möchte ich in meiner Wohnung allein sein. Gefangen in diesem Dilemma, komme ich doch noch zur Besinnung und sage die ganze kurzerhand ab. Wäre ja nicht das erste mal. Es hat ja auch früher schon nicht zu einem tatsächlichen Treffen gereicht. Es tut mir nicht einmal leid, da er auf die einfachsten Fragen nicht wirklich sinnvoll oder nur ausweichend geantwortet hatte oder nicht antworten wollte. Klingt nach niedrigem IQ, was für Sex eigentlich egal wäre. Aber damit nicht genug. Er scheint er in einer WG zu wohnen und ich habe heute wenig Lust anderen Mitbewohnern über den Weg zu laufen und bei einem Lächeln Höflichkeitsfloskeln auszutauschen oder umgekehrt, heimlich in der Wohnung umher zu schleichen. Außerdem lenkt mich mein Handy zu sehr vom Spielen ab. Ich lege es zu Seite und versuche mich wieder aufs Spiel zu konzentrieren. Immerhin spiele ich mit anderen im Team und sollte mein Bestes geben.

Dennoch geht die Ablenkung durch das Handy weiter. Zwischen den nächsten Stunden chatte ich wieder kurz mit jemandem. Auch er schickt mir relativ schnell seinen Standort. Komisch, denke ich mir. Die Stelle, an welcher der Marker auf der digitalen Karte steht, kommt mir seltsam bekannt vor. Die hatten wir doch heute schon einmal. Das riecht nach einem Fake-Profil. Irgendwer stalkt mich hier. Auch wenn man sich in solchen Apps auf einem Jahrmarkt befindet, so gibt es doch Grenzen. Und böse Spiele mag niemand mitspielen. Besonders ich nicht. Meine Eitelkeit kommt wieder hervor und so ignoriere ich den Chat, denke mir nichts weiter und spiele nebenbei ein paar weitere Runden. Im Spiel bin ich bin noch nicht einmal richtig warm geworden, da bin ich schon wieder tot. Und schon wieder halte ich das Handy in der Hand. Entweder bin ich einfach schlecht im Spiel oder das Handy lenkt mich zu sehr ab. Auch auf Arbeit habe ich schon den schlechten Ruf ständig am Handy zu hängen - sogar in wichtigen Meetings, wo man das tunlichst unterlassen sollte. Irgendwann wird mir das noch zum Verhängnis. Aber zurück zur Dating-App.

Neben der normalen Darstellung als fortlaufende Kacheln, gibt es in der App die neuesten Profile nebeneinander an prominenter Stelle eingeblendet. Wer vom immer gleichen Angebot genug hat, blättert eben die neuen Typen durch. Allzu oft findet man dort aber die allseits bekannten Gesichert. Denn wer in der Menge des normalen Angebotes untergeht, stellt einfach ein neues Bild ein oder löscht sein Profil und legt sich sofort ein neues an. Nur um so unter den Neuen zu sein und die Chance zu erhöhen, von jemanden bemerkt zu werden. Dennoch kann ich nicht widerstehen und blättere die neuen Profile durch. Eines davon ist vom Profilnamen her ein Tourist und der Name endet mit ENG. Das Bild und auch die Daten wirken ansprechend und so starte ich Versuch Nummer drei. Erst denke ich, dass der Suffix bedeutet, dass er Engländer ist. Später stellt sich aber heraus, dass er wohl einfach Ausländer und Englisch die gemeinsame Sprache ist, wenngleich sein Englisch eher sehr gebrochen wirkt. Da ich nun aber schon geil bin, mit Kandidat 1 keinen Erfolg hatte und auch keine weitere Zeit mit Floskeln verlieren möchte, frage ich ihn direkt ob er Spaß haben mag und schicke gleich einige aussagekräftige Bilder mit. Ungeduldig starre ich aufs Handy und warte auf eine Antwort, welche aber nicht umgehend eintrifft. Dieses dumme Handy will einfach zu viel von meiner Aufmerksamkeit. Da noch immer keine Antwort kommt, lege ich es zur Seite und versuche mich erneut auf das Spiel zu konzentrieren.

Irgendwann kommt von ihm eine Antwort inklusive einiger brave Bilder in schöner Landschaft und anmutiger Körperhaltung zurück. Ich muss innerlich lachen und daran denken wie ich selbst erst gestern am Berg beim Wandern versucht habe ein halbwegs schönes Bild von mir selbst hinzubekommen. Immerhin sind es normale Bilder und keine nackten Schwänze die mir ins Gesicht springen. Ich bin überrascht, wie gut er aussieht und so schreiben wir weiter. Da das Frage-Antwort-Spiel eher schleppend voran geht, spiele ich zwischendurch weiter. Einige Stunden später sind wir soweit, dass wir uns verabreden wollen. Vorher war schon klar geworden, dass es rein um Sex geht. Scheinbar geht es ihm heute mit der Geilheit gleich wie mir.

Bisher hab ich meine Aufmerksamkeit nur dem Handy gewidmet wenn ich im Spiel bereits gestorben war. Nun aber habe ich einen Interessenkonflikt. Die Verabredung möchte ich nicht zu lange herausschrieben. Aber die aktuelle Runde im Spiel zieht sich hin und ich fühle mich schlecht, weil ich mein Team am Besten sofort unter einem Vorwand verlassen möchte. Bisher ist aber noch ungeklärt, ob wir uns bei ihm oder bei mir treffen. Eigentlich hab ich keine Lust den PC oder gar die Wohnung zu verlassen. Aber ich bin nunmal geil. Soviel zum ruhigen Wochenende. Also hoffe ich insgeheim, dass er eventuell den Weg auf sich nimmt und zu mir kommt. Leider schreibt er mir im gebrochenen Englisch, dass ich zu ihm kommen soll. Und er schickt auch gleich seinen Standort mit. Verwirrt vergrößere ich die Karte mit zwei Fingern. Meine Augen werden größer und die Stirn legt sich in Falten. Siehe da, wieder der gleiche Standort! Eigentlich sollte ich an dieser Stelle skeptisch werden und den Chat und das Treffen absagen. Aber mein Interesse ist geweckt. Ich möchte das Rätsel lösen und herausfinden was dahinter steckt. Ich denke mir, dass ich dort sicher Kandidat Nummer 1 begegnen werde. Eigentlich ein klares Zeichen nein zu sagen, aber ich hab noch nie Herausforderungen gescheut und man kann immer noch später nein sagen. Challenge accepted. Und die Runde im Spiel ist auch gerade aus. Wie passend!

Gut, dass ich erst vorher unter der Dusche stand. So muss ich mich nicht lange aufhalten und kann schnell aufbrechen. Schnell von den Mitspielern verabschieden, den PC runterfahren, anziehen und los geht’s. Obwohl es nur gut einen Kilometer zum Ziel ist, ich aber zu faul zum Radfahren bin und es auch bergauf geht, nehme ich mir ein Auto vom Car Sharing und gebe Gas. Gut dass das nächste Auto nicht allzu weit weg steht. Und wozu hat man sonst die monatlichen Freiminuten gekauft? Mich würde wirklich interessieren, wie viele Menschen die Autos dazu nutzen um zum nächsten Date, statt zum nächsten Einkauf zu fahren. Wäre sicher eine witzige Geschichte um damit Werbung zu machen. Wieso kommen einem die besten Ideen immer in so aberwitzigen Situationen?

Kaum im Auto, meldet sich die App und giert nach Aufmerksamkeit. Ich sitze aber am Steuer und will zumindest versuchen ein vernünftiger Autofahrer zu sein. Daher bekommt die App meine Aufmerksamkeit erst an der nächsten roten Ampel. Ein Pärchen hat mir interessante Bilder geschickt. Diesmal eine Mischung aus normalen Bildern und weiteren aussagekräftigen Fakten. In Summe fast noch interessanter als mein aktuelles Date und noch dazu in meinem Alter. Das würde gut zu meiner aktuellen Strategie passen, nach welcher ich mehr Typen reiferen Alters treffen möchte. Aber ich beschließe nicht zu antworten und fahre weiter. Ich will kein Arschloch sein und mein Date versetzen. Die Kandidaten Nummer 4 müssen einfach auf ein andermal warten und so halte ich sie mir warm. Wieder so ein Klischee. Unterwegs überlege ich, dass die Parkplatzsuche am Sonntag die Hölle sein wird und dass die kurze Fahrt am Ende vielleicht sogar länger und teurer wird als gedacht. Vielleicht hätte ich doch einfach mit dem Rad fahren sollen? Ich wische den Gedanken faul zur Seite und zum Glück finde ich kurz vorm Ziel direkt einen freien Parkplatz und gehe gar nicht erst das Risiko ein weiterzusuchen. Stattdessen parke ich und gehe die letzten Meter zu Fuss.

Es ist Sonntag Nacht und nur wenige Leute sind mit ihren Hunden unterwegs. Einsam und gedankenversunken spazieren sie durch die Nacht und bleiben mit ihren Hunden an jedem Baum und jeder Hausecke stehen. Die Stille der Stadt um diese Uhrzeit hat etwas Magisches. Die sanfte Straßenbeleuchtung tut ihr übriges. Nervös schaue ich mich um, ob ich beobachtet werde. Aber in einer Stadt wie Wien bist du anonym und niemand interessiert sich für dich. Diese Anonymität ist Fluch und Segen zugleich. Die Adresse liegt an einem kleinen Platz an dem mehrere Straßen sternförmig einmünden. Gegenüber auf der anderen Straßenseite steht mitten auf dem Platz ein Würstlstandl, welcher jetzt sogar noch offen hat und gut besucht ist. Rund herum herrscht Stille. Der Platz ist in ein warmes gelbes Licht getaucht. Die Standlbesucher essen leise ihr schnelles Abendessen und nur wenige Autos sind unterwegs. Ich stehe allein vor der Haustüre und schaue mich nervös um. Wieso muss das Haus an so präsenter Stelle stehen? Ich schreibe meinem Date, ob ich klingeln soll oder er mir direkt die Tür öffnet. Ich glaube ja noch immer an eine WG, wo man die anderen Bewohner nicht stören möchte. Immerhin ist es Sonntag Abend und wer will da schon eine laute Türglocke klingeln hören. Es bleibt beim Läuten und ich trete in den Haupteingang eines typischen repräsentativen Hauses aus der Gründerzeit. Ich suche einen Fahrstuhl, kann ihn aber nicht finden. Erst als ich um die Ecke biege, sehe ich einen alten Fahrstuhl dem ich nicht so recht traue. Bleibt nur die Treppe, welche ich schnellen Fusses bis in die vierte Etage nehme. Die Wohnungsnummer hat die dritte Etage vermuten lassen und ich ärgere mich, dass ich mit meinen müden Wander-Beinen noch eine weitere Etage bis unters Dach nehmen muss.

Die Stufen enden direkt vor der Wohnungstür, welche halb offen steht. Gerade als ich eintreten will, öffnet jemand die Tür und begrüßt mich herzhaft. Jung, um die 30 Jahre alt und gut aussehend. Aber irgendwie doch nicht der, mit dem ich geschrieben hatte. Mein Hirn versucht im Schnellverfahren das passende Gesicht zuzuordnen und mein Puls steigt. Irgendwas stimmt hier nicht. Zudem ist er komplett nackt und ich denke mir, dass ich sowas gar nicht mag. Da fehlt das Vorspiel und der eigentliche Reiz. Mein zweiter Blick fällt natürlich auf die Mitte des Mannes und auch das kann ich nicht den Chat-Bildern zuordnen. Auf einmal sehe ich links durch eine weitere Tür zwei oder drei weitere Männer auf uns zukommen. Wieder sind alle nackt und bewegen sich typisch schwul und wild gackernd durcheinander. Und alle starren auf mich - Frischfleisch. Ich denke mir, na hallo - mehr als eine Person. Aber damit kann ich umgehen. Und so trete ich ein.

Sie bitten mich die Schuhe auszuziehen und reinzustellen. Drinnen erkenne ich auf einmal noch mehr nackte Männer. Alle so zwischen 30 und 40 Jahre alt, schätze ich. Und dann sehe ich, wie erwartet, auch Kandidat Nummer 1. Mit einem Schlag wird mir bewusst was hier läuft - eine Sex-Party. Eigentlich wollte ich sowas schon länger mal erleben. Ich hatte Geschichten gehört, aber noch nie eigene Eindrücke sammeln können. Aber es kann nicht anders sein als ein Besuch in einer Gay-Sauna. Auch dort hatte ich vorher die schlimmsten Phantasien und war dann später durch die Offenheit positiv überrascht.

Dennoch reagiert mein Fluchtinstinkt sofort und ich sage ohne Nachzudenken „Nein“. Das Date war doch anders geplant! Und im Chat hat er nichts von einer Party erwähnt. Allein schon deshalb nehme meine Schuhe und husche im Dunkeln die Stufen hinab. Vorsichtig auf der Suche nach einem Lichtschalter und hoffend, dass ich auf Socken nicht auf den Steinstufen ausrutsche. Es ist ungefähr Mitternacht. Morgen ist ein wichtiger Tag. Ich taste mich durchs Dunkel und zum Glück haben Handys ja LED-Taschenlampen. Ein Hoch auf die moderne Technik. Endlich finde ich einen Lichtschalter und ziehe die Schuhe an. Mit hämmernden Puls stürme ich die Treppe herunter und hoffe, dass mich niemand gesehen hat. Gegenüber der Haustür steht das besagte Würstlstandl und ich denke mir, dass mich sicher vorher schon jemand beim reingehen gesehen hat und sich nach dem kurzen Moment an mich erinnert und sich seinen Teil denken wird. Wer ist sonst ist Sonntag nachts zu Fuß unterwegs? Und es bin ja nicht nur ich allein, sondern auch die anderen Party-Teilnehmer. Egal! Ich bin froh raus zu sein und gehe die Straße zurück zum Auto.

Es ist zwar spät. Aber jetzt wo ich schonmal außer Haus bin, kann ich doch nicht unbefriedigt nach Hause fahren!? Welch Niederlage! Also wieder zurück zur Dating-App. Kandidaten Nummer 4 - das Pärchen - haben heute ihren Glückstag. Sehr direkt frage ich nach der Adresse. Sie weichen aus und fragen auf schlechtem Englisch einige Details. Wenig später schicken mir ihren GPS-Standort. Zum Glück ist es diesmal nicht der gleiche. Dennoch schaffen sie es nicht mir ihre genaue Adresse zu geben. Genervt stehe ich im Dunkeln vorm Auto und blättere die Profile in meiner Nähe durch. Zwei davon jung, hübsch und gerade online. Ich wundere mich wieso bei ihnen und einigen anderen jeweils 144m als Entfernung steht. Scheinbar sind alle auf der Party! In Gedanken verfluche ich die Welt und hoffe, dass die Welt so versaut doch nicht sein kann. Denn beide Typen sind unter 24 Jahre jung.

Um meine Vermutung zu untermauern schreibe ich zwei von ihnen an und frage, ob sie daheim oder auf der Party sind. Einer von ihnen, mit sexy Body und im Handstand, aber ohne Gesicht, schreibt tatsächlich sofort zurück. Er sei daheim gewesen, aber nun gerade auf der Party angekommen. Ja die Party! Ich gehe mal davon aus, dass im engeren Umkreis nicht mehrere gleichzeitig Parties laufen. Ich schreibe ihm, das ich kurz da war und geflüchtet bin. Er meint ich solle zurückkommen. Ich bleibe skeptisch und frage nach, wie die Party abläuft und ob alle geschützt oder ungeschützt verkehren. Als Antwort bekomme ich ein unbestimmtes „jeder wie er will“. Aber ich solle einfach sagen was ich will oder einfach Kondome mitbringen. Ich hatte ihn auch nach seinem Gesicht gefragt, aber keine Antwort erhalten. Aber was soll’s, ich steht vorm Auto und die Kandidaten Nummer 4 haben sich noch immer nicht entschieden. Ich will nicht länger warten und so springe ich über meinen Schatten, gehe doch wieder zurück und vereinbare, dass er mir direkt die Tür öffnen soll. Immerhin kenne ich die Treppen ja nun schon.

Tatsächlich öffnete er mir und innerlich habe ich die Enttäuschung ja kommen sehen. Jung, sehr schlank, aber Wasserstoff-blonde Haare - voll dem Klischee entsprechend. Ich trete ein und bekomme direkt ein Bussi links und rechts. Mein erster Eindruck ist, dass die Wohnung sehr nett eingerichtet ist. In der Küche stehen etwa 6 weitere Personen. Alle rauchen, wovon ich sofort genervt bin. Aber jetzt bin ich hier und ich will nicht wieder flüchten. Einige haben ihre Unterhose an, andere sind ganz nackt. Also fange ich an mich langsam auszuziehen und lege meine Sache in einer Ecke ab. Ich bekomme ein Bier angeboten. Die letzte Flasche aus dem Kühlschrank. Alle stehen um die Küchen-Theke, welche voll mit Zigaretten-Packungen, kleinen Poppers-Fläschen und vielen anderen Dingen ist, welche ich nicht sofort zuordnen kann. Alle sind nett, höflich und zuvorkommend. Man schüttelt die Hände und begrüßt sich.

Sofort werde ich gefragt, ob ich eine Line Koks ziehen möchte. Ich perplex wie offen mit dem Thema umgegangen wird. Da ich generell keine Drogen mag und ich morgen fit sein möchte, sage ich höflich nein. Wir leben in einer freien Welt und ähnlich wie in einer Gay-Sauna, nimmt es mir niemand übel, dass ich ablehne. Dennoch ziehen die anderen jeweils eine Line durch die Nase und tänzeln durch die Wohnung rüber ins Wohnzimmer. Dort sehe ich zwei Typen breitbeinig auf der Couch liegen und sich unterhalten. Einer davon sehr jung, sehr gut aussehend und mit einem steifen Schwanz von ordentlicher Größe. Bis auf zwei weiße Socken, die an super anregend wirken, gänzlich nackt. Meine Miene hält sich auf.

Ich nehme mein Bier und gehe ins Wohnzimmer von wo mein Blick ins Schlafzimmer fällt. Im Moment ist das Bett leer. Ich schaue auf den Fußboden und erwarte, dass mich gleich der Ekel überkommt. Aber alles wirkt halbwegs sauber und gepflegt. Nur ein gebrauchtes Kondom liegt unterm Tisch und ich denke mir, dass der Abend sicher schon länger dauert. Ich frage in die Runde wie lange genau. Mir wird etwas von 3h erzählt und davon, dass einer sich mit Chi-Tropfen weggeschossen hat und sich erbrechen musste. Er sei nun am Balkon und erhole sich langsam. Chi sagt mir nichts, aber ich weiß sofort, dass es um Drogen geht, und übermässigen Konsum hat man schon oft gesehen. Ich frage nach, ob es ihm denn gut gehe. Alle beruhigen mich. Die Welt sei in Ordnung.

Ich stelle mein Bier ab und versuche es nicht aus den Augen zu verlieren. Mich beschleicht das mulmige Gefühl, dass KO-Tropfen im Umlauf sein könnten und ich möchte nicht die benutzte Person des heutigen Abends sein. Wieder stellt man sich höflich vor. Einer heißt gleich wie ich und ich denke mir, dass ich das Profil vorher bereits online gesehen hatte. Wie klein die Welt doch ist. Er fragt, ob er einen Schluck von meinem Bier trinken darf. Ich denke wieder an die KO-Tropfen und nicke, während ich ihm sarkastisch sage, dass er nur bitte nichts in die Flasche geben soll. Mein Puls steigt. Ich werde nervös und merke, dass ich auf der Hut bleiben muss. Mein Schutzinstinkt funktioniert und ich weiß, dass ich mich auf unbekanntem Terrain bewege.

Kandidat Nummer 3, wegen dem ich ja eigentlich herkommen wollte, sieht mich freudig an und freut sich, dass ich doch wieder hier bin - wo ich doch zuerst geflohen war. Er sinkt zu meinen Füssen und fängt an an mir zu spielen. Durch meine Instinkte bin ich hellwach, mustere jedes noch so kleine Detail und bin gerade so gar nicht in Stimmung. Nichts funktioniert. Kandidat Nummer 1 läuft freudig an mir vorbei und klatscht mir auf den Po. Ich gehe zurück in die Küche und trinke weiter mein Bier. In Gedanken hoffe ich, dass wirklich nichts anderes in der Flasche ist. Kandidat Nummer 1 folgt mir und fragt ob ich Camagra möchte. Eine billigere, aber zugleich gefährlichere Version von Viagra. Da ich nunmal hier bin, willige ich ein. Er öffnet einen Schrank in der Küche. Wo normale Menschen Geschirr, Tee oder sonstiges lagern, hortet er ganz andere Dinge. Er gibt mir eine halbe Tablette. Ich weiß, dass die Wirkung erst in 20min einsetzen wird und rede mir ein, dass es ja keine Drogen sind. Immerhin bin ich doch ein guter Mensch und rede mir die Welt schön.

Um die Zeit zu überbrücken spaziere ich durch die Zimmer und beobachte die Anwesenden. Am Fernseher läuft ein Porno. Auf der Couch liegen einige Typen und unterhalten sich. Im Schlafzimmer spielen zwei weitere mit einem dicken und gänzlich runden Anal-Plug und probieren wie sie den am besten reinbekommen. Der eine hilft dem anderen. Sie experimentieren und haben Spaß dabei. Die Atmosphäre wirkt sehr lustig, fast grotesk. Ich setze mich auf die Couch. Der süße Typ mit den weißen Socken ist leider aufgestanden. Aber so ist nun zumindest ein Platz frei. Neben mir sitzt ein weiterer Typ. Er hat einen leichtem Schnauzer und am Kinn einen gestutzten Vollbart. Normalerweise wirkt sowas auf mich total abstoßend. Aber dieser hier sieht süss aus und wirkt sympathisch. Er fängt an mir auf die Beine zu greifen und Kandidat Nummer 3 erscheint vor mir und so fangen wir an etwas Spaß zu haben. Der Typ mit Bart neben mir scheint sehr an mir interessiert zu sein. Ich ignoriere ihn für den Moment. Die Tablette wirkt noch nicht.

Im Schlafzimmer ist der eine mit dem Anal-Plug fertig und geht in einen anderen Raum und lässt den zweiten verdutzt zurück. Statt nun ihm zu helfen, muss der allein mit sich selbst spielen. Plötzlich wechselt dieser in die Küche und wälzt sich stöhnend am Boden. Es scheint ihm wohl zu gefallen. Im Bett fickt ein anderer zur gleichen Zeit meinen Namensvetter und ich denke mir, endlich mal etwas Action. Bisher war es doch verhältnismäßig ruhig. In den nächsten Minuten versuchen alle mich anzufassen, vorn und hinten. Aber ich bin nach wie vor verwirrt, skeptisch und nervös. Die Tablette wirkt noch immer nicht und so wiegel ich alle Versuche ab. Jemand versucht mir an den Hintern zu gehen. Mir war aber aufgefallen, dass keine frischen Kondome rumliegen. Da ich nicht auf PreP bin, sage ich höflich nein. Es scheint klar zu sein, dass hier niemand was von Verhütung hält. Mich verwundert das nicht, aber innerlich bin ich angewidert.

Zurück in der Küche sehe ich den Socken-Typ wie er sich eine Line zieht. Ich ergreife die Chance und will mich an ihn ranmachen, erhalte aber eine direkte Abfuhr. Auch das ist auf einer Party möglich. Auch wenn ich enttäuscht bin, freue ich mich, dass es sehr offen zugeht. Wieder werden mir Drogen angeboten. Diesmal Chi, was ich nicht kenne bzw. von dem ich noch nie gehört habe. Ich traue mich nicht zu fragen und so dauert es noch eine Weile bis ich doch frage, was Chi ist. Man nennt es Liquid Extasy und es mache geil, aufgedreht und munter. Da ich aber heute auch noch irgendwann schlafen will und auch nichts davon halte, lehne ich erneut dankend ab. Wundere mich aber zunehmend, was hier alles zu zur Verfügung steht. Das Chi ist in einer kleinen Ampulle, aus welcher sich der ein oder andere Typ immer wieder mit der Pipette ein oder zwei Tropfen in ein Glas Wasser träufelt und trinkt.

Zurück im Schlafzimmer sehe ich einen gut gebauter Typ bäuchlings im Bett liegen und sich bei einer Massage entspannen. Ein anderer sehr bäriger Typ liegt hinter ihm und leckt ihm stundenlang den Hintern. Mein erster Gedanke ist, welch verrückte Vorlieben es auf dieser Welt doch gibt. Beide scheinen es aber sehr zu genießen und ich werde gebeten mich vorn aufs Bett zu setzen. Der Liegende schmiegt sich wie ein Hund an meinen Oberschenkel, legt seinen Kopf auf mein Bein und genießt einfach kuschelnd die Situation. Bisher ganz gemütlich und zwanglos. Niemand hat mich zu irgendwas gezwungen. Vielleicht kann ich meine Nervosität doch noch ablegen? Später am Abend schläft der liegende kurz ein und fängt sogar leicht an zu schnarchen.

Etwas später stehe ich neben dem Bett und schmuse mit Kandidat Nummer 3, welcher noch immer sehr erfreut ist mich zu sehen. Kandidat Nummer 1 kommt leicht eifersüchtig dazwischen, drückt mich an die Wand und stellt sich so vor mich, dass mein Schwanz sofort in seinen Arsch gleitet. Scheinbar nicht der erste heute, aber immerhin scheint die Tablette zu wirken. Da ich ihn aber nicht mag, höre ich sofort wieder auf und gehe ins Wohnzimmer. Dort hockt ein anderer in Hündchenstellung und der süße Socken-Typ schickt sich an ihn von hinten zu nehmen. Scheinbar funktioniert es aber nicht und so löst sich die Situation schnell wieder auf. Kandidat Nummer 3 ist wieder im Raum und fängt an mir einen zu blasen. Ich überlege kurz, ob ich ihm sagen soll, wo der Schwanz gerade vorher war? Im ersten Moment denke ich an einen Porno, wo es ja auch immer so abläuft, entscheide mich dann aber doch es ihm zu sagen. Er läuft ins Bad und wäscht sich den Mund aus. Ich gehe hinterher und wasche mich.

Im Bad reden wir beide auf Englisch und ich frage ihn, warum alle ungeschützt verkehren und ob sie keine Angst haben. Am Weg zurück in die Küche erzählt er mir, dass er früher trotz Verhütung immer Angst vor Krankheiten hatte und seinen Arzt halb verrückt gemacht habe, da er jeden Monat zum HIV-Test gegangen ist und Nächtelang wegen schlechtem Gewissen nicht schlafen konnte. Durch PreP fühle ich er sich jetzt frei und könne beruhigt schlafen. Meine Aversion gegen dieses unsägliche Medikament, besser gegen die abgewandelte Nutzung, steigt. Ursprünglich war es zur Behandlung von HIV Positiven entwickelt worden. Nun aber wird es von allen dafür mißbraucht, ungeschützt zu verkehren. Dies bedeutet jeden Tag eine sehr große Tablette, welche einer chemischen Keule gleicht und noch dazu monatliche Kosten von mindestens 60 Euro verursacht. Ich nehme in meinem Leben schon genug Medikamente und lehne es daher geistig ab. Ganz davon zu schweigen, dass dieses Verhalten anderen Krankheiten Tür und Tor öffnet. Aber auch hier bin ich immer wieder überrascht wie sorglos mit Tripper & Co umgegangen wird. Ein paar Tabletten und alles ist gut. Niemand scheint mehr vor irgendwas Angst zu haben. Aber auch ich war eben ungeschützt in jemanden und schäme mich dafür.

In der Küche reden wir weiter über das Thema und ich spreche ihn darauf an dass PreP kein vollständiger Schutz ist. Wie im Chor erwidern alle, dass es 99% Schutz ist. Ich weiß aber von meinem Arzt, dass es eher 90% bis 96% sind, vermeide aber die Diskussion. Stattdessen meine ich, dass das eine verbleiben Prozent noch immer ein nicht zu vernachlässigendes Risiko darstellt. Aber auch das scheint niemanden zu interessieren und so erstirbt der Diskurs, bevor er richtig begonnen hat. Aber was hätte ich mir auch erwarten können, wo doch die Küchen-Theke einer Drogen-Bar gleicht.

In der nächsten Stunde widme ich meine Zeit dem Typen mit dem Bart und bin verwundert, dass ich mich mit ihm so gut verstehe. Und das obwohl ich doch eigentlich keine Bärte mag. Dennoch fühle ich mich wohl. Nebenbei fällt mir auf, dass die ganze Zeit über jeder am Handy hängt und auf der gleichen App unterwegs ist und dabei wild weitere Kandidaten anschreibt. Ich frage mich, ob sie denn nicht genug Angebot hier haben. Aber scheinbar geht der Abend schon zu lange und jeder scheint mit jedem ausgiebig Spass gehabt zu haben. Irgendwann hab ich auch mit Kandidat 3 etwas Spaß und sehe wie sich im Schlafzimmer im Bett auch einiges abspielt. Ganz entspannt liegt der eine Typ noch immer bäuchlings im Bett und der andere dahinter leckt ihm noch immer den Hintern. Ausdauernd! - schießt mir der Gedanke durch den Kopf. Daneben versucht der süsse Socken-Typ den liegenden davon zu überzeugen, dass er ihn beglücken darf. Dieser will dies aber nur mit Kondom, wie ich erfreut feststelle. Der süsse Typ ist sichtlich bestürzt. Mittlerweile liege auch ich gemütlich neben dem Geschehen im Bett und frage den Socken-Typ was sein Problem sei? Er antwortet, dass sein Penis sofort erschlaffe, wenn er ein Kondom überstreift. Er ist es nunmal nicht gewohnt. Ich fange wieder an darüber zu reden, dass PreP doch eine chemische Keule ist. Er wiegelt ab und erzählt mir, dass er es schon immer nimmt und damit keine Probleme hat. Dabei ist er gerade mal 22 Jahre alt. Ich versuche mich zu erinnern wie brav ich mit 22 Jahren im Vergleich doch war und plötzlich bin ich für einen Moment sentimental.

Später sehe ich, wie sich der Socken-Typ und der andere junge Typ, der mir die Tür geöffnet hatte, sich in der Küche unterhalten. Der eine sitzt und raucht, der andere zieht sich die nächste Line durch die Nase. Da sie die beiden Jüngsten in der Runde sind und sich schon lange kennen, verstehe sie sich wohl gut miteinander. Später sehe ich sie im Flur stehend ficken. Der Socken-Typ lächelt mich an und sagt, der andere haben so einen sexy kleinen Arsch. Wiederum später sitzen beide in der Küche am Tisch. Einer am Schoß des anderen. Sie chatten per App mit einem anderen Twink, den beide unabhängig voneinander bereits kennen. Ich schaue ihnen über die Schulter. Der besagte Type ist wirklich sehr süß und auch noch sehr jung. Mich wundert wie offen und pervers sie über ihre sexuelle Erfahrung mit ihm reden. Es erinnert an ein Produkt über welches man Erfahrungen austauscht. Aber sie haben ihr Opfer gefunden und versuchen es dazu zu bewegen zur Party zu kommen. Scheinbar kein leichtes Unterfangen, so dass ich sie fürs Erste in Ruhe lasse.

Im Schlafzimmer sind noch immer einige im Gange. Kandidat Nummer 1, übrigens der Gastgeber, hat scheinbar zu viel von seiner Haus-Drogen-Apotheke erwischt. Er war vorher schon rot angelaufen und in der Wohnung hin und her gelaufen. Nun liegt er neben den anderen im Bett, gibt alle paar Sekunden einen Laut wie in einem nächtlichen Alptraum, aus dem man aufschreckt, von sich. Dabei reißt er verwirrt die Beine in die Luft, nur um dann gleich wieder erschlafft dazu liegen. Sehr skurril das Ganze. Ein anderer, der zuvor auch die Chi-Tropfen genommen hat, ist derweil auf der Couch im Wohnzimmer im Halbschlaf und freut sich, dass er so entspannt sei wie selten. Wie im Delirium redet er halb mit sich selbst. Mittlerweile ist es etwa 2 Uhr nachts und mein Wecker steht auf 6:30 Uhr. Egal, ich kann jetzt eh nicht schlafen. Aber ich weiß, dass sich der Raubbau am Körper irgendwann rächen wird.

Irgendwann schläft der Bart-Typ auch friedlich auf der Couch. Ich finde ihn sogar recht niedlich, ärgere mich aber auch, dass ich nichtmal weiß wie er heißt. Die Hälfte der Besucher ist zwischenzeitlich zum McDonalds aufgebrochen und kauft Essen ein. In der Wohnung ist es nun leerer und so komme ich mit meinem Namensvetter zusammen. Wir haben das Bett für uns allein. Obwohl der Abend gedanklich in der passiven Rolle begonnen hatte, endet er in der Realität aktiv.

Zuvor war ein neuer Besucher aufgetaucht. Geschätzte 130kg mit vier ordentlichen Bauchringen. Aber auch er hat seinen Spaß und wird in der Küche bedient. Ich bin zwar angewidert, freue mich aber dennoch über die Offenheit der Situation und unserer Gesellschaft und denke an jene Länder, wo sowas nicht möglich wäre. Er schaut kurz ums Eck, als wir gerade im Bett aktiv sind. Unbeachtet durch die anderen beenden wir das Geschehen und ich gehe ins Bad um mich zu waschen. Dort treffe ich den Socken-Typ, welcher sich angezogen hat und jetzt noch anziehender aussieht. Wir stehen gemeinsam am Waschbecken und unterhalten uns. Er und der andere junge Typ wollen aufbrechen und den dritten Typ, mit dem sie vorher geschrieben haben, besuchen. Ich erwähne sarkastisch, dass ich jetzt verstehe, wieso er mich abgewiesen hatte. Er lächelt entschuldigend und meint, er stehe nunmal auf junge Typen. Ich genieße die lockere Unterhaltung und bedeute ihm, dass alles in Ordnung sei und wünsche ihnen viel Spaß.

Ich beschließe den Abend zu beenden und sehe auch, dass mein Bettpartner - der Namensvetter - am Aufbrechen ist. Gemeinsam gehen wir die Treppe runter und unterhalten uns vor der Haustür über die Erlebnisse und Eindrücke der Nacht. Für uns beide war es die erste Sex-Party und wir sind beide gleich verstört und dennoch locker lustig. Ich nehme an, dass das Adrenalin noch eine Weile wirken wird. Wir erkennen beide, dass wir auf die gleiche Masche reingefallen sind. Beide wurden wir zu einem Date mit einer einzelnen Person gelockt und beide waren wir verwundert, dass es dann eine Party war. Ich bin zutiefst froh darüber, dass er von meinem Bier getrunken hat und dass wir den Abend gemeinsam für uns beendet haben. Denn er erscheint mir noch als der normalste Mensch in dieser Runde und so fühle ich mich auch wieder etwas normaler. Wir geben uns die Hand und jeder geht in seine Richtung nach Hause.

Wieder daheim stelle ich mir den Wecker auf 7 Uhr und freue mich über einen 30min längeren Schlaf einer sowieso viel zu kurzen Nacht. In der Früh wache ich auf und bin verwundert, dass ich unerwartet munter und erholt bin. In der Straßenbahn auf dem Weg zur Arbeit denke ich über die Nacht nach. Ich schäme mich für nichts, aber ich versuche mich an Einzelheiten zu erinnern und diese einzuordnen. Mir fallen die Chi-Tropfen ein und ich recherchiere am Handy um was es sich dabei handelt. Erschrocken lese ich, wie gefährlich diese Tropfen sind. Wie sorglos damit umgegangen wird und dass es sich um besagte KO-Tropfen handelt. Wieder kommt Ekel in mir hoch. Dennoch bin ich froh, dass ich nein gesagt habe und auch ohne deren Einfluss um eine Erfahrung reicher bin. Zudem bewegt mich ein Gedanke den ganzen Tag - habe ich mich mit etwas angesteckt? Auch hier werde ich wohl warten müssen und auf das Beste hoffen. Immerhin habe ich keine Handlungen mit hoher Ansteckungsgefahr zugelassen. Aber auch das ist kein vollständiger Schutz. So muss ich am Ende feststellen, dass die Erfahrung das Risiko eigentlich nicht aufwiegt und ich in Zukunft lieber die Finger davon lassen werde.

Um meine Gedanken zu ordnen, habe ich diese nun hier festgehalten. Ich bin mir nicht sicher, ob sie nur für mich allein bestimmt sind, oder ob ich sie mit jemanden teilen sollte. Kein Teilnehmer der Party hat üble Nachrede verdient und auch ich schäme mich nicht dafür. Lediglich der Umstand wie offen über andere Profile in der App und die persönlichen Erfahrungen geplaudert wird, erscheint mir doch schlimm so dass ich mir noch nicht sicher bin, ob ich mein Profil nicht löschen sollte. Aber wir leben in Zeiten von Big Data. Was bringt da das Löschen?


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