Berlin // Körper an Körper

Seit langem mal wieder eine Nacht, die mich so bewegt, dass ich gleich heute am Tag danach darüber schreiben muss. Zu frisch sind die Gedanken und Erinnerungen und ich will jede davon festhalten und keinen einzigen Moment vergessen. Heute ist Freitag und ich ruhe mich daheim aus. Eine Mischung aus gemütlich auf der Couch liegen, Kaffee trinken und am Handy spielen. Gestern hatten wir in Berlin Firmenparty. In einer richtig guten Location mit viel Essen, Alkohol und guten Dancefloors. So verging der Abend wie im Flug und ehe man sich versieht, war es bereits weit nach Mitternacht. Da die Event-Location unweit vom Berghain ist, habe ich mich natürlich schon vorab schlau gemacht, ob an einem Donnerstag dort überhaupt etwas los ist. Und natürlich! In Berlin ist immer Party. Heute aber nur in der Panorama Bar und nicht auf dem Mainfloor. Dennoch gut!

Die Firmenparty ist super. Es gibt eigentlich keinen Grund den Ort zu wechseln. Aber unter Kollegen muss man sich nunmal benehmen, besonders wenn du in einer Führungsposition bist. Also brauch ich Abstand und Zeit für mich selbst. Die Party im Berghain ist nur bis 6 Uhr angesagt, ganz untypisch für Berlin. Daher entscheide ich mich schon recht früh gegen halb ein Uhr nachts dort aufzuschlagen. Immerhin gibt es ja das Risiko, dass ich an der Tür abgewiesen werde. In dem Fall könnte ich schnell wieder zu den Kollegen zurück, da hier die Party noch so richtig im Gange ist. So gehe ich nun durch die frische windige Nacht und fühle mich gut. Nach guten zwei Kilometer zu Fuss kommt das Berghain in Sicht. Schnell ziehe ich meine dünne Jacke aus und verstaue sie in meinem schwarzen Beutel. Heute war keine Zeit sich über die richtige Kleidung Gedanken zu machen. So habe ich billige weiße Schuhe und ein weißes T-Shirt an. Dazu eine graue lockere Hose. Nichts besonders, aber eventuell doch zu schlicht fürs Berghain. Auf den letzten hundert Metern kommen mir die ersten Partygänger entgegen, die gerade den Ort wechseln. Alle sind ganz und gar in schwarz gekleidet und meist in Lack und Leder. Ich in weiß wirke dagegen wie ein Leuchtfeuer im Dunkeln. Das gleiche Bild bietet sich am Eingang. Eine kleine Schlange von etwa 10 Personen - es ist ja noch früh. Alle in Schwarz und beste Fetisch-Models wie aus dem Katalog. Alle sehen großartig aus und ich bekommen Zweifel, ob ich reinkomme. In Gedanken stelle ich mir vor, wieviel Zeit und Geld die Leute in ihr Outfit gesteckt haben. Gute fünf Minuten später bin erfolgreich am Türsteher vorbei, stehe in der Sicherheitskontrolle, lasse die Kameras vom Handy zukleben und zahle meinen Eintritt an der Kasse. An der Garderobe das gleiche Bild, alle in Schwarz oder gar halb nackt. Mein weiß wirkt irgendwie unpassend. Egal, ich bin heute einfach weiß.

Die Panorama Bar ist scheinbar nicht mehr der kleine Dancefloor oben im Gebäude, sondern vielmehr die Säulenhalle in der Mitte des Berghains direkt unter dem Mainfloor. Industriedesign per excellence. Dicke eckige Betonsäulen in geringem Abstand. Massive Füße, die den Mainfloor darüber tragen. Es ist sehr dunkel und nur das zum Rhythmus zuckende Licht durchbricht die Szenerie. Rund um die massiven Säulen sind Lichtstränge angebracht, die rhythmisch die Säulen erhellen. Ich gehe ein paar Runden und erkunde die Gegend. Durch die Dunkelheit und die Lichtblitze verliere ich die Orientierung und mir wird leicht schwindlig, aber ich fühle mich gut aufgehoben. Alles was mir jetzt noch fehlt ist die Energie zum tanzen. Die Musik selbst ist typisch hart und trocken und die Menge ist bereits voll im Gange.

Die Suche nach Candy starte ich am WC. Dort ist es bereits dicht gedrängt. Ich beobachte eine ganze Weile den Ort und die ein und ausgehenden Personen und versuche zu erkennen, wer möglicherweise ein Dealer ist. Ein Typ bemerkt mich, umschleicht mich eine Weile und fragt irgendwann, ob ich was verkaufe. Das Gleiche dachte ich eigentlich über ihn. So stehen wir beide wie blöd da. Wir machen aus, dass wir einander Bescheid geben, wenn wir einen Dealer findet. So geht meine Suche noch einige Zeit weiter. Ich sehe drei Typen, die aus einer Zigarettenschachtel einige Pillen in die Hand von zwei Mädchen geben und im Gegenzug Geld einstecken. Eindeutig was gefunden! Ich gehe zu ihnen und frage direkt. Der Typ schaut mich ruhig von oben bis unten an und als Antwort erhalte ich ein nein. Also weiter suchen.

Am WC sehe ich drei in Lack und Leder gekleidete Besucher, die schon draußen in der Schlange vor mir standen. Sie kommen gemeinsam aus einer Kabine und vor ihnen ein einzelner Typ in einem weißen T-Shirt. Das muss ein Dealer sein von dem sie gerade was gekauft haben! Also frage ich ihn direkt. Er verneint und verweist mich auf eines der Mädels in Lack und Leder. Scheinbar waren sie nicht die Kunden, sondern die Dealer. So stehen der andere suchende Typ, ich und das Mädel wenig später zu dritt in der WC-Kabine. Sie hat einen stark Osteuropäischen Dialekt, er ist aus Kanada in Berlin und Freunde haben ihm das Berghain empfohlen. Sie verwickelt uns eine Weile in ein Gespräch während ich von innen die WC-Tür blockiere. Sie hebt ihr Bein und setzt mit denStiefel auf den Rand der Kloschüssel. Ihr Bein ist einem hohen sexy Lackstiefel verpackt. Sie beugt sich elegant über ihr Bein und zieht sehr langsam den Reisverschluss vom Stiefel auf. Ich fühle mich wie in einer Porno-Kabine. Aus dem Stiefel zieht sie ein kleines Päckchen mit Pillen. So kaufen der Kanadier und ich je zwei Pillen. Lachend verlassen wir die Kabine und sie wünsch uns einen tollen Abend. Die Party kann beginnen.

An der Bar kaufe ich mir was zu trinken, beiße eine halbe Pille ab und spüle sie hinunter. Ich bin verwundert, dass sie beim Abbeißen sehr hart ist. Scheinbar nicht so gestreckt und pulvrig, wie viele andere Pillen. Ich gehe durch den Raum und schaue mir den Dancefloor und das Publikum von allen Seiten an. Nach fast 30min merke ich noch immer nichts. Meist setzt bei mir die Wirkung deutlich schneller ein. Das Kribbeln und die Leichtfüssigkeit fehlen. Doch nach einer Weile merke ich wie sich mein Blick verändert und mein Körper fast automatisch zur Musik zu tanzen beginnt. Wie ein Roboter zieht es mich rein in die Menge. Es geht los. Da ich aber erst letztes Wochenende zweimal unterwegs war, ist der Abstand zum Aufbau der Hormone viel zu gering. So fehlte der typische Energieflash und das wohlige Gefühl, wenn es deinen Körper durchfährt. Kein Problem, ich hatte das schon erwartet. Dennoch bin ich munter und habe genügend Energie zum tanzen. So verbrauche ich im Abstand von ein bis anderthalb Stunden jede weitere Hälfte.

Typisch für das Berghain sind eher kräftige Männer mit freien Oberkörper oder sehr große dünne Typen in schlaksigen Hosen. Beides nicht so mein Fall. Aber ich finde ein paar nette Typen, die meinem Geschmack entsprechen. Nach und nach setzt sich die Energie in meinem Körper frei. Bevor sie mich gänzlich in Besitz nimmt, nutze ich die Zeit und tanze mal hier mal da und beobachte die Menschen um mich herum. Ich sehe, wie sich die meisten auch gerade etwas einwerfen. Es ist bereits nach zwei Uhr nachts.

Nach einer Weile tanzt neben mir ein Typ mit freiem Oberkörper. Deutlich kleiner als ich, aber jugendlich und gut aussehen. Kurz geschorener Kopf, süsse dunkle Augen in einem lächelnde Gesicht. Dazu eine kurze Jeanshose, an deren Rand sich die Unterwäsche abzeichnet. An den wohl geformten Beinen hohe weiße Sportsocken mit farbigen Rundstreifen, die die kräftigen Waden betonen. Dazu passend sexy Adidas Sneaker. Ein herrliches Bild. Ich fange an ihn von hinten zu berühren. Er lässt es sich gefallen und so versuche ich immer mehr. Durch den Rausch bin ich aber meist sehr vorsichtig und überschreite keine Grenzen. Der Rausch hält mich davon ab. Es ist ein ständiges Vor und Zurück. Der Geist will diesen Typen, der Körper hält dich zurück.

So muss ich mich zwingen doch immer einen Schritt weiter zu gehen. Erst umfasse ich mit der rechten Hand seine Hüfte. Erst oben, dann weiter unten bis meine Hand auf dem Rand seiner Hose ruht. Dann traue ich mich die zweite Hand dazu zu nehmen. Er genießt es und so ziehe ich ihn immer weiter zu mir. Eng aneinander tanzen wir zum aktuell eher langsamen Beat. Zwischendurch wage ich mich noch einen Schritt weiter. Ich greife ihm von hinten hart an den Hintern und umfasse seine knackigen Pobacken. So geht es ungefähr eine Stunde. Meine Hände umrunden seinen Körper und gleiten an seinem Bauch auf und ab. Eng umschlungen drücke ich ihn fest an mich. Sein Hintern wiegt sich in meinem Schoß. Ein unglaubliches Gefühl. Nun traue ich mich sogar ihn auf den Hals und auf die Schulter zu küssen. Er tanzt weiter mit mir, erwidert aber keinen Kuss und auch keinen Blick. Er starrt geradeaus und genießt einfach.

Neben ihm tanzt ein weiterer Typ. Im Gegensatz zum anderen ist er blond und nicht ganz so perfekt gebaut. Aber dennoch total süss. Er hatte mich schon vorher angelächelt. Nun zieht er sich zu sich und redet mir auf Englisch ins Ohr, dass der andere sein Freund ist. Ich lächle und frage zurück, ob sie beide schwul sind. Er erwidert ein Jahr. Dann frage ich, ob sie zusammen sind und wieder erhalte ich ein Ja. Meine Antwort darauf ist einfach, dass sie ein super liebes Paar sind. Für beide ist es okay, dass ich den einen so intensiv berühre. Bis zum Ende tanze ich in ihrer Nähe. Da sich der blonde von beiden nicht benachteiligt fühlen soll, fange ich an auch ihn zu verwöhnen. Schon bald liegen meine Handy auf seinen Hüften und ich ziehe sein Becken kräftig an mich heran und passe meine Bewegung seinem Rhythmus an. Auch er genießt es, aber blick ebenso starr gerade aus.

Der Blonde macht einen auf Kettenraucher. Ständig zieht er sich eine Zigarette aus der Schachtel. Da er kein Feuerzeug hat, muss er stets andere auf der Tanzfläche haben. Ich unterhalte mich etwas mit ihm und gemeinsam fragen wir uns durch die Menge, bis irgendwer ihm Feuer geben kann. Obwohl wir noch immer in der Nähe tanzen, widme ich meine Aufmerksamkeit anderen bzw. Genieße einfach selbst die Musik und gebe mich meinem Rausch hin. Erst in den Morgenstunden zieht es mich wieder zu den beiden. Der süsse Typ, mit dem ich zuerst so eng getanzt hatte, ist nun voll im Gange. Sein Körper trifft genau den Rhythmus, was ihn noch attraktiver macht. Wieder tanze ich erst neben ihm und wir lächeln uns an. Nach einer Weile tanze ich erneut hinter ihm, massiere seine Schultern und halte ihn dann wieder eng an mir. Diese Szene könnte auf ewig so weitergehen.

Aber eigentlich würde ich mir mit beiden mehr vorstellen können. Mein Kopf spinnt sich Geschichten zurecht in denen ich beide frage, ob sie Lust auf Spaß zu dritt haben. Leider ist die Musik so laut, dass ich unmöglich fragen könnte, ohne dass es komisch wirkt. Zudem ist bei mir die Energie nun langsam weg und mein Blick wandert ständig auf die Uhr. Es ist 6:30 Uhr morgens. Ich hab es nicht eilig, aber ich weiß, dass der Abend vorbei ist. Das Coming-Down setzt ein und es zieht mich Richtung Bahnhof. Dennoch will ich die beiden nicht allein lassen. Sie sind einfach zu süss und die Situation zu gut. Die Chance dass sie Ja sagen ist unendlich hoch. Dennoch schaffe ich es nicht die Frage zu stellen. In einem kurzen klaren Moment entschließe ich mich zu gehen. An der Garderobe hole ich meinen Beutel und gehe vor die Tür. Es ist bereits hell und der frische Wind belebt meine verschwitzte Haut.

Als ich endlich zu Hause bin und frisch geduscht ins Bett gehe, ist es kurz vor 9 Uhr morgens. Gegen 14 Uhr wache ich auf. Der Rest des Tages verläuft zwischen schläfrig auf der Couch dämmern, Kaffee trinken und sich den Bauch vollstopfen. Eigentlich habe ich keinen Hunger, aber ich weiß, dass solche Nächte Unmengen an Kalorien verbrennen. Mein Blutdruck war bei weit über 140 und ich habe teilweise einen starken Druck in der Brust gespürt. Ich hatte teilweise sogar Angst meinem Herzen zu viel zuzumuten. Aber alles war in Ordnung. In diesem Dämmerzustand denke ich den ganzen Tag an das gemeinsame Tanzen zurück. Das Bild ist nach wie vor total real in meiner Vorstellung und ich ärgere mich die ganze Zeit, dass ich die Frage nicht gestellt hatte. Es ärgert mich, dass ich diese Chance vertan hab. Natürlich hätten sie auch nein sagen können. Aber darum geht es nicht. Vielmehr nervt es mich, dass der Rausch mich zurückgehalten hat. Dieses Muster zieht sich wie ein roter Faden durch meine Geschichten. Immer sehe ich jemand total nettes, aber nie wird mehr daraus. Selbst wenn es mal zum Schmusen kommt, hat meist er den ersten Schritt gemacht. So fühle ich mich schlecht und fange an zu hinterfragen, was der Sinn im Fortgehen sei. Vielleicht liegt es auch daran, dass die Musik heute zu hart und trocken war und mich daher nicht so richtig mitgerissen hatte.

Schritt für Schritt breitet sich dieses negative Gefühl in mir aus. Der Tag in diesem dämmrigen Zustand ist eigentlich immer herrlich, auch wenn man kaum was sinnvolles auf die Reihe bekommt. Dafür ist man einfach nur entspannt und regeneriert. Wenn nur dieses negative Gefühl und das Bild dieses süssen Typen und das Gefühl seiner schweißnassen Haut unter meinen Fingern nicht so in meinen Kopf gebrannt wäre. Bei dem Gedanken kribbelt mein ganzer Körper und bei jeder kleinsten Berührung würde mein Körper von ganz allein zum Höhepunkt kommen. So genieße ich das auf und ab zwischen der positiven Erinnerung, welche mir ein Lächeln ins Gesicht zaubert und der Scham, dass ich die Frage am Ende nicht gestellt habe. So verbringe ich den Tag auf der Couch statt mit den beiden in ihrem Bett.

Dafür hat es mir zum wiederholten Male gezeigt, dass sich meine Zeit mit Drogen und Fortgehen dem Ende nähert. Einerseits kann ich das Wochenende immer kaum erwarten und jede Nacht ist toll. Aber sie sind unterm Strich doch alle gleich und auch verliere ich den nächsten Tag. Dazu der Konsum an Candy und die immer kürzeren Abständen. Ich weiß, dass es nicht gut ist und die Reise in die falsche Richtung geht. Also bewerte ich es positiv, dass mir die gestrige Erfahrung und das negative Schamgefühl auch wieder die Grenzen aufgezeigt haben. Ich bin gespannt wohin die Reise führt.


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