Jonathan Haidt: The Righteous Mind: Why Good People are Divided by Politics and Religion

"The Righteous Mind" heißt auf Deutsch so viel wie "Der rechtschaffene Geist/Verstand". Das Buch trägt den Untertitel "Why good people are divided by politics and religion", also warum gute Menschen trotzdem in Fragen der Politik und der Religion so unterschiedlicher Ansicht sein und regelrecht gespalten sein können.

Jonathan Haidt gliedert das Buch in drei Teile.

Teil 1: Der Elefant und der Reiter

Im ersten Teil beschreibt er unsere Art, moralische Entscheidungen zu treffen und benutzt dabei die Analogie vom Elefant mit seinem Reiter. Der Elefant ist dabei unsere Intuition, unser emotionales Denken, das den Großteil unserer Entscheidungen trifft, bevor wir uns dessen überhaupt bewusst werden. Wir basieren unsere Entscheidungen dabei auf unseren teilweise angeborenen und teilweise erlernten Moralvorstellungen, dazu mehr im zweiten Teil.

Der Reiter ist unser rationaler Verstand, also unser bewusstes Denken. Das trägt aber nur einen kleinen Teil zur Entscheidungsfindung bei, und vor allem ist der Verstand häufig nicht in der Lage, eine Entscheidung, die von unserem Bauchgefühl getroffen wurde, zu verändern, selbst wenn es kein rationales Argument für die Entscheidung, aber viele nachvollziehbare Argumente dagegen gibt. Der Elefant schlägt also eine bestimmte Richtung ein, und der Reiter hat nur begrenzte Möglichkeiten, die Richtung noch zu beeinflussen oder zu verändern.

Als Beispiel dient die folgende fiktive Geschichte: "Eine Familie besitzt einen Hund. Eines Tages wird der Hund von einem Auto überfahren. Da die Familie schon immer wissen wollte, wie Hundefleisch schmeckt, nehmen sie den toten Hund mit nach Hause und grillen und essen ihn." Diese Geschichte löst wahrscheinlich bei den meisten (westlichen) Menschen ein diffuses Unbehagen bis offene Ablehnung hervor. Das ist der Elefant, der sofort aus dem Bauch raus die Entscheidung trifft, dass die Familie falsch handelt. Schaut man sich die Geschichte aber näher an, gibt es eigentlich keinen Grund für die Ablehnung. Der Hund kam bei einem Unfall zu Tode, er wurde nicht extra geschlachtet, um ihn zu essen. Die Familie bereitet ihn auch zu Hause zu, es kommt also auch keine andere Person dadurch zu Schaden, dass sie das mit ansehen muss oder womöglich gegen ihren Willen Hundefleisch untergejubelt bekommt. Außerdem kann man argumentieren, dass das Essen des Hundes sogar etwas Gutes hat, da ja eine ganze Familie davon satt wird und somit der Hund nicht umsonst gestorben ist. Aber selbst wenn der Verstand (der Reiter) all diese Argumente kennt, lassen sich viele Leute nicht von ihrer Meinung abbringen, dass das Verhalten der Familie einfach falsch ist, obwohl sie es nicht nachvollziehbar begründen können. Der Reiter schafft es also nicht, dem Elefant eine andere Richtung aufzuzwingen.

Zusammengefasst: Wir treffen moralische Entscheidungen "aus dem Bauch heraus", ohne uns notwenigerweise bewusst zu sein, wie die Entscheidung zustande gekommen ist, und lassen uns dann auch durch sinnvolle gegenteilige Argumente nicht mehr von unserer Bauchentscheidung abbringen.

Teil 2: Die sechs Säulen der Moral

Wir bauen unsere moralischen Entscheidungen auf sechs verschiedenen Säulen auf:

  • Fürsorge/Leid (care/harm): Kommen Menschen oder Tiere zu Schaden
  • Fairness: Geht es gerecht zu oder nicht
  • Loyalität: Verhält man sich gegenüber der Gruppe, der man angehört, loyal
  • Autorität: Wird eine Autoritätsperson missachtet
  • Heiligkeit (Sanctity): Wird eine höhere Ordnung verletzt
  • Freiheit: Wird meine individuelle Freiheit eingeschränkt

Es stellt sich heraus, dass Menschen, die sozialdemokratisch bis links veranlagt sind sehr viel Wert auf die Fürsorge/Leid, die Fairness- und die Freiheitsssäule legen, aber wenig Wert auf Autorität, Loyalität (gegenüber dem Land oder der Kirche z.B.) und Heiligkeit. Konservative beziehen alle sechs Säulen etwa gleich mit in ihre moralischen Entscheidungen ein.

Das bedeutet, dass Linke bei moralischen Entscheidungen nur die drei ihnen wichtigen Säulen abklopfen, diese dafür aber sehr hoch gewichten, Konservative klopfen alle sechs Säulen etwa gleichmäßig ab. Bei der Frage, ob eine Sache moralisch vertretbar ist oder nicht überlegt sich ein Linker also hauptsächlich, ob jemand dadurch zu Schaden kommt (Fürsorge/Leid), ob seine persönliche Freiheit dadurch eingeschränkt wird und ob die Sache für die beteiligten Personen fair ist. Konservative ziehen diese Fragen durchaus auch in Betracht, überlegen aber noch zusätzlich, ob dadurch die Autorität einer Autoritätsperson untergraben wird (Präsident, Lehrer, Eltern...), ob Loyalität gegenüber der eigenen Gruppe (Kirche, Nation, Partei...) verletzt wird und ob eine höhere Ordnung verletzt wird.

So kommt es, dass Linke oft argumentieren, die Schere zwischen Arm und Reich darf nicht zu weit auseinander klaffen (Fairness - wobei bei Fairness auch immer Proportionalität eine Rolle spielt, es ist also auch im linken Verständnis durchaus fair, wenn Menschen die hart arbeiten mehr Geld zur Verfügung haben als solche, die das nicht tun - nur werden zu krasse Unterschiede (einige haben endlosen Reichtum und andere leben in der Gosse) als unfair empfunden) oder dass man sich um die Schwachen der Gesellschaft oder Flüchtlinge kümmern muss (Fürsorge) oder dass sich jeder Mensch frei von gesellschaftlichen Zwängen entwickeln soll und darf (individuelle Freiheit). Auf konservativer Seite wird Fürsorge oft stärker gewichtet bei Mitgliedern der eigenen Gruppe als bei anderen, ein Konservativer wird eher in Kauf nehmen, dass manche Menschen leiden, solange die Gruppe als solches versorgt ist. Fairness sehen Konservative stärker proportional als Linke, die Argumentation ist eher "jemand der hart arbeitet und was leistet soll auch dafür belohnt werden, jemand der das nicht tut ist selbst schuld, wenn er in der Gosse landet", wenn der eigene Reichtum nach "unten" umverteilt wird, wird das als unfair (weil nicht proportional) empfunden. Dafür ist Konservativen die Loyalität zur eigenen Gruppe (sei es die Familie, die Religionsgemeinde, die Nation, die Nachbarschaft) sehr wichtig, genauso wie das Respektieren von Autoritäten. Und natürlich Heiligkeit, sei es die Heiligkeit der Ehe, die Achtung der religiösen Vorschriften, die Achtung vor dem (ungeborenen) Leben etc. Mit diesen Punkten können Linke tendenziell sehr wenig anfangen.

Interessant ist die Säule der Freiheit, die von Linken und Konservativen unterschiedlich interpretiert wird. Bei Linken ist es die Freiheit des Individuums, sich zu entfalten und zu verwirklichen, bei Konservativen die Freiheit vor staatlicher Regulierung des eigenen Lebens.

Für Liberale (Libertäre in den USA) übrigens spielt fast nur die Säule der Freiheit eine Rolle ;)

Teil 3: Menschen sind 90% Affen und 10% Bienen