Zukunft am Reissbrett

Wir sind frustriert. Wir sind frustriert davon wie es läuft in Politik und Wirtschaft. Frustriert von der weltpolitischen Lage. Frustriert von Medien, die entweder zu viel oder zu wenig über unterschiedlichste Themen sprechen. Frustriert über die Ungerechtigkeit und ungleiche Verteilung überall. Und vorallem: frustriert, dass wir zu klein sind um daran etwas zu ändern, denn selbst im Job lassen sich die einfachsten Dinge nicht umsetzen weil die Manager um Geld und Kontrolle fürchten.

Noch dazu scheint das alles ganz normal und natürlich zu sein. Arbeiten fürs Geld, die traditionelle Familie, Rassismus, Kriege - im Gegensatz zur Menschheitsgeschichte geht es uns ja eigentlich ganz gut. Immerhin sind wir so frei wie man werden kann und es wird ja hoffentlich langsam besser, aber das entscheiden sowieso die "volksnahen" Politiker. Das genügt dann meistens auch schon, um sich etwas besser zu fühlen. Dann noch einigermassen ethisch/moralisch leben und SPÖ oder Grüne wählen.

Sounds familiar?

Andere Krisen beiseitegelegt, befinden wir uns in einer noch viel akuteren gesellschaftlichen Krise: Immer wieder haben Menschen die Art und Weise zu leben grundsätzlich verändert. Allgemeines Wahlrecht für Staatsbürger:innen, Abschaffung der Sklaverei, Sozialhilfe, Kollektivverträge - alles errungene Tatsachen. Aber jetzt sind wir Plan- und Ziellos. Wir haben "Demokratie", sind "frei", sind "geschützt" falls wir den Job verlieren sollten und haben Organisationen, die immer im Oktober "für unsere Rechte streiten". Wir sehnen uns nach besseren Zeiten, aber selbst einfache Dinge zu verbessern scheint schier unmöglich - selbst wenn man Minister:in wäre. Wie aber würden diese besseren Zeiten aussehen, nach denen wir uns sehnen? Wie könnte eine bessere Gesellschaft aussehen, wenn man sie am Reissbrett entwerfen würde? Versuchen wir, es uns vorzustellen. Weil aber der Versuch das zu beschreiben schnell als Utopie oder Träumerei wahrgenommen wird, werde ich danach auch skizzieren, wie wir zu dieser Gesellschaft kommen.

Eine Vision

Zu allererst: Verwerfen wir die Idee unserer Nationalstaaten, unserer Politik, der Polizei und Gerichte, unserer Wirtschaft, des Militärs, useres Sozialsystems - unserer gesamten politischen und wirtschaftlichen Organsiation, wir entwerfen sie schliesslich neu. Dann einigen wir uns darauf was wir wollen: Echte Demokratie. Wir wollen, dass alle, dort wo sie zuhause sind voll und ganz mitbestimmen können. Fragen darüber, wie Energie produziert wird, wo gebaut werden darf, was renaturiert und geschützt wird, woher unsere Produkte kommen, wie Kinderbetreuung organisiert wird, wie unsere Parks, Schulen und unser Transportsystem organisiert sind - und das sind nur ein paar der Beispiele. Auch dort wo wir arbeiten, wollen wir demokratische Entscheidungen: Wie läuft die Produktion ab? Wie sind die Arbeitszeiten? Von welchen Unternehmen wird eingekauft? Wohin, was und wofür wird produziert? Wir gehen aber noch einen Schritt weiter: natürlich wird es Entscheidungstäger:innen brauchen. Ob kleine Gremien oder Einzelpersonen, wir wollen sie aufjedenfall wählen und jederzeit abwählen können. Diese Entscheidungsträger:innen machen ausserdem keinen komplizierteren Job oder sind mehr Wert als alle anderen. Sie sollen auch keinen Anreiz haben, sich durch ihre Position zu bereichen. Unter dem Verständnis, dass alle gleich viel Wert sind und jeder Beiträgt was möglich ist, soll auch jeder gleich gut dafür entlohnt werden. Die Arbeiter:in, die Rohre für Wasserkraftanlagen zusammenschweisst, leistet gleich viel für die Gesellschaft, wie die angestellten Produktionsplaner:innen im Büro, die Entwickler:innen der Software oder die Koordinator:innen auf Baustellen. Im Geiste der Effizienz wollen wir auch, dass wir uns an diesen Prozessen, die unseren Alltag steuern sehr niederschwellig beteiligen können. Und das sollen auch dieselben Prozesse sein, die Politik als ganzes steuern: Im Kern also keine Sondergehälter für Niemanden und volle Abwählbarkeit.

Am Reissbrett gibt es genug Arbeit für alle. Wir stehen vor vielen Herausforderungen, es wäre Ressourcenvergeudung, wenn nicht alle ihre Arbeitskraft einbringen könnten. Dennoch wird es Menschen geben, die vorübergehend nicht oder nur eingeschränkt arbeiten können. Auch sie haben aber Anspruch auf dieselbe Entlohnung, damit sie sich ihre Lebenserhaltungskosten leisten können. Wenn Gehälter gleich verteilt sind, bedeutet das eine Umverteilung, die das möglich machen wird. Das Gleiche gilt für Wohnraum: Leerstehende Wohnungen sind Verschwendung. Menschen, die auf der Strasse leben, brauchen Wohnung, Geld und Betreuung um wieder am gesellschaftlichen Leben teilnehmen zu können. Da es auch in Dörfern und Mietzinshäusern demokratische Entscheidungen braucht, kann sich auch jede:r dort einbringen und damit Verantwortung übernehmen - gebraucht zu werden ist ein wichtiges Menschliches Bedürfnis, das damit erfüllt wird. Nach dem Beispiel der freiwilligen Feürwehr, könnten wir auch andere wichtige Dienste aufbauen - Zivilschutz und Infrastruktur-Instandhaltung beispielsweise.

Bis jetzt haben wir weder Grenzen noch Staat noch Polizei oder Militär gebraucht. Wie aber organisieren wir "Sicherheit" und "den Staat"? Am Reissbrett brauchen wir keine Grenzen. Menschen die in Grenzgebieten leben, wissen, dass die Menschen hier und dort wenig unterschiedlich sind. Lokale demokratische Organisationen würden an zahlreichen Orten Grenzen überschreiten. Grenzen helfen also nicht bei der Organisation. Der Staat selbst ist durch unsere vielen lokalen Entscheidungsgremien fast unnötig. Da wir aber auch überregionale Richtungsentscheidungen treffen müssen (beispielsweise über die Verteilung Gütern, Stromerzeugung, etc.) brauchen wir zentralisierte Entscheidungsstrukturen. Dafür wählen die Menschen in den lokalen Strukturen, eine Person, die sie in diesen zentralen Gremien repräsentiert - auch sie ist natürlich abwählbar, wenn sie nicht die lokalen Interessen vertritt. Da wir alles andere so lokal wie möglich organisieren (alles andere wäre sinnlose Bürokratie, Ressourcen- und Zeitvergeudung) braucht es also keinen Staat mehr, der Almosen verteilt und regelt, wie Bebauungspläne, Betreuung, Schule oder Arbeit weit weg von der Hauptstadt organisiert werden soll. Was wir jetzt Politik nennen, ist in unserer Vision lokale Selbstorganisation der Menschen, die selbst wissen, was lokal am Besten funktioniert und schlau genug sind um Expert:innen zu befragen, wenn es Streitigkeiten gibt. Was wir jetzt Wirtschaft nennen, ist in unserer Vision genau dasselbe. Wir heben also diese Trennung im Sinne der Effizienz und der niederschwelligen Beteiligung endgültig auf.

Aber was ist mit "Sicherheit"? Was Menschen direkt vor Ort selbst regeln können ist immer schneller und effizienter als jemanden anrufen zu müssen. Wir wissen auch, dass Menschen ein inhärentes Gerechtigkeitsgefühl haben und einschreiten/helfen, wenn etwas schlimmes passiert. Am Reissbrett behaupten wir also, dass Zivilcourage der Alltag ist, dass Menschen umgehend helfen und deeskalieren, wenn es beim Nachbarn zu laut wird, dass Vandalismus durch die lokale Bevölkerung gestoppt wird. "Sicherheit" wäre also Teil der Bildung/Vergesellschaftung. Durch die gerechtere Verteilung und Gleichbehandlung würden Delikte wie Diebstahl oder Veruntreuung ohnehin zurückgehen. Die Polizei als übergeordnete Staatsmacht könnten wir also streichen. Das Militär, unter der Annahme, dass wir diese Gesellschaft weltweit entwerfen ebenfalls. Arbeitende Menschen haben keinen Grund Kriege zu führen. Staaten führen Kriege gegen Staaten, Arbeitende Menschen dagegen wollen meist Frieden und Verständigung - etwas, das wir über unsere demokratischen Strukturen gut bewerkstelligen können. Diese würden niemals entscheiden Bomben auf ähnliche zu werfen, weil sie damit nur 'normale' Menschen treffen und nicht die Entscheidungsträger:innen. Die wären auch auf direkt demokratischem Wege viel einfacher absetzbar, sollte jemand sich wirklich für Kriegsgewalt entscheiden, die dann noch die Bevölkerung selbst und nicht ein Militär ausführen müsste.

Der Weg

Wir sehen: es ist selbst am Reissbrett nicht ganz möglich alles voll und ganz zu beschreiben, weil in unserer Vision sehr viel Verantwortung und Gestaltungsmöglichkeit in der Lokalbevölkerung liegt - aber wir haben trotzdem eine Idee davon wie dieses System funktionieren könnte. Das klingt alles sehr utopisch - und ist es ja, wie eingangs erklärt auch. Gesellschaften werden nie am Reissbrett entworfen, sie entwickeln sich. Wer in den britischen Kolonien hätte sich unsere Gesellschaft vorstellen können? Erträumen, vielleicht, aber sich die Umstellung vorstellen?

Wie also kommen wir dorthin? Wir haben bereits festgestellt, dass Wahlen äusserst wenig verändern - immerhin behalten wir damit dieselben Strukturen bei. Dass Politiker, Manager und CEOs freiwillig auf Macht und Geld verzichten, wäre wirklich utopisch und wir können uns jetzt auch nicht vorstellen, dass Menschen diese lokalen Strukturen nicht ausnutzen würden, wenn sie Verantwortung bekämen. Wie also ändern wir das? Möglichst auch noch schnell genug, damit wir den Planeten und uns nicht vollkommen vergiften oder entwalden?

Kern unserer Vision ist die Selbstverwaltung. Und genau da setzen wir an. Beginnen wir damit Menschen in lokalen, demokratischen Strukturen zu organisieren, indem wir ihnen zeigen, dass das einen Unterschied machen kann. Miethaus-Komittees können sich gegen ungerechtfertigte Mieterhöhungen wehren. Dorf-Komittees haben politisch mehr Gewicht als Einzelpersonen und können fordern den Spielplatz zu erneuern, den Dorfladen zu retten oder sogar selbst einen gemeinschaftlich organisierten Dorfladen gründen. Komitees in Unternehmen können sich für bessere Arbeitsbedingungen und gegen Ungleichbehandlung einsetzen - in Österreich sind das Betriebsratsstrukturen. Politische Zusammenschlüsse können Bildungsangebote schaffen, Demonstrationen und Streiks gemeinsam mit Betriebsräten organisieren.

Auch wenn das alleine unsere Vision noch lange nicht umsetzt, lernen Menschen hier, wie man sich selbstständig organisiert und dass man gemeinsam Veränderungen erwirken und Entscheidungen fällen kann. Je mehr dieser Strukturen es gibt und je mehr Menschen sich darin organisieren und engagieren, desto besser. Wichtig ist dabei aber, dass diese Strukturen politisches Bewusstsein entwickeln, also die Trennung zwischen Wirtschaft, Politik und lokaler Organisation abbauen. Diese Komitees können sich zu Demonstrationen zusammenschliessen, wenn die Landesregierung sinnlose Strassen bauen möchte oder die Stadt einen Skaterpark, wenn sich die Jugend für Konsumfreie Räume in der Innenstadt einsetzt. Politische Kämpfe zu führen schweisst zusammen und schafft Perspektiven und Selbstvertrauen. Die Komitees können dabei voneinander lernen. Erfolgreiche Massnahmen für die Verhinderung eines Gesetzes durch politische Komitees, können vielleicht auch gegen den Bau eines Einkaufszentrums verwendet werden. Zivilgesellschaftliche Beteiligung mit dem Ziel der Selbstverwaltung ist demnach eine Schlüsselkomponente.

Aber natürlich wird das alleine noch nicht die Gesellschaft als ganzes umstrukturieren. Je stärker und besser vernetzt diese lokalen, politisierten Strukturen werden, desto stärker wird der Gegenwind von Politik und Wirtschafts-Management sein. Früher oder später wird es vielleicht sogar von staatlicher Seite zu Auflösungen, Verhaftungen, etc. kommen, weil diese Strukturen dediziert die Macht und Legitimität von Politik und Management untergraben. Politisierte Strukturen werden zu Streiks aufrufen und dadurch versuchen die Mächtigen zu Zugeständnissen zu zwingen. Wahrscheinlich wird es sogar von staatlicher Seite zu Räumungen und Gewalt gegen friedliche Proteste und Streiks kommen, weil die Situation für den Staat untragbar wird. Revolutionäre Sozialisten nennen die Antwort der Bevölkerung auf diese staatliche Gewalt "Revolution". Die politisierten Strukturen beginen damit, die offizielle/staatliche lokale Verwaltung zu übernehmen. Bürgermeister:innen und Polizeikommandant:innen werden abgesetzt und deren Aufgaben durch die gemeinschaftliche, demokratisch geschulte Lokalverwaltung ersetzt. Wo sich Widerstand dagegen regt, werden die Menschen ihre selbstgeschaffenen Organisationen gegen staatliche Gewalt verteidigen und jene, die der Regierung treu sind, aus dem Verkehr ziehen. Dabei kann es natürlich zu Gewalt kommen, aber diese Gewalt ist nicht mit einem Putsch vergleichbar, wie es oft dargestellt wird. Es ist eine Reaktion auf Staatsgewalt, die versucht die lokale, demokratische Verwaltung zu zerstören, die mit viel Arbeit aufgebaut wurde. Diese Situation und das eigene Handeln ist dabei schwer vorstellbar, weil wir uns derzeit nicht in einer so offensiv und offensichtlich unterdrückten Situation befinden - so etwas kann sich nur entwickeln. Vielerorts wird diese Revolution aber wahrscheinlich auch friedlich ablaufen. Diesen ersten Funken der Revolution werden andere Funken, in anderen Teilen des Landes (und vielleicht sogar in anderen Ländern) folgen. Zusammenschlüsse von Organisationen werden Landtage und damit überregionale Verantwortung übernehmen. Eine echte Revolution ist kein Putschversuch, es ist das Ersetzen der staatlichen Verwaltung durch lokale Selbstverwaltung und Veranwortung, durch die Mehrheit der Bevölkerung. Die Mehrheit erkämpft sich also das Recht auf echte Demokratie, Gleichstellung und Frieden.

Politische Organisationen wie Linkswende (also revolutionär sozialistische) übernehmen dabei die Rolle der politischen Schulung. Wir leben vor, wie politische Organisation aussieht, organisieren Proteste und Bildung um Menschen zu politisieren und beschäftigen uns damit, wie ähnliche historische Veränderungen funktioniert haben und welche Lehren wir daraus für Heute ziehen können. Wir wollen Menschen darin ausbilden, Strukturen zur Selbstverwaltung zu schaffen und bestehenden Strukturen zeigen, wie wichtig es ist sich zu politisieren - die Grenze zwischen Tätigkeit, Wirtschaft und Politik einzureissen. Wir lernen, zeigen Selbstermächtigung und intervenieren, damit wir nicht vom Weg abkommen. Beispielsweise stehen wir offensiv für Antikriegspolitik, und dafür, dass auch andere politische Gruppen - aber auch Gewerkschaften oder Parteien - diese Positionen adoptieren und ihr Handeln danach ausrichten: Streiks und Demonstrationen gegen Aufrüstung und anstattdessen Geld für Soziales und Bildung.

Hoffnung ist Selbstgemacht

Es gibt also einen Ausweg aus der Passivität, aus dem Gefühl nichts verändern zu können: Organisation. Wir haben eine Vision und wir haben einen Weg, eine bessere Welt zu erkämpfen, in der unsere Stimme nicht egal ist. Auch wenn "Revolution" schlimm klingt: wir haben gesehen, es geht nicht darum einen Bürgerkrieg anzuzetteln oder einen Militärputsch zu veranstalten. Wir stehen für unsere Rechte ein, und dafür auch wirklich eine Stimme zu bekommen, nachdem wir uns unserer Selbstverwaltungsmöglichkeiten bewusst geworden sind. Der Auftakt dazu kann lange dauern, aber, wie die Geschichte zeigt, sich unglaublich beschleunigen. Zu warten bis die Sozialdemokratie oder die Grünen ihre Änderungen durchgebracht haben ist nicht nur mühsam sondern auch zu langsam. Und niemand sollte sich genötigt fühlen schlechte politische Entscheidungen dieser Parteien verteidigen zu müssen. Natürlich sollten wir weiterhin auf dem "traditionellen" Weg - der Wahlurne - unsere Meinung einbringen und für gemeinsam für kleinere Verbesserungen zu kämpfen, aber das schliesst Selbstorganisation und Kritik nicht aus. Selbstorganisation ist jederzeit möglich - und der revolutionäre wissenschaftliche Sozialismus gibt uns Antworten auf die Frage, wie wir das nutzen können.

In diesem Sinne: Gestaltet eurer Leben und euere Umwelt aktiv mit! Politik ist nicht etwas für Politiker - sie geht uns alle an. Arbeiten wir zusammen an einer besseren Welt ohne Ausbeutung, ohne Ungleichbehandlung, ohne Ressourcenverschwendung und ohne Bevormundung. Organisiert euch!

Politik, Sozialismus, Revolution, Utopie, Passivität, Perspektiven, Praxis


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