Bundestrojaner stoppen - die IT hats in der Hand
November 5, 2025•764 words
Zu viele Diskussionen mit den Themen Überwachung und Verschlüsselung enden mit einem "... aber ich habe ja nichts zu verbergen". Menschen in der Software-Branche wissen jedoch, dass dieses Argument das Thema verfehlt. Vor ein paar Wochen war ich wieder einmal froh Kolleg:innen zu haben, die es nicht hinnehmen würden, wenn ihre Softwarefirma sich irgendwie am geplanten Bundestrojaner beteiligen sollte. Für die Meisten von uns sind das Eintreten für Privacy und die Opposition gegen das Aushebeln von Ende-zu-Ende-Verschlüsselung, gegen großflächige Überwachung und gegen den Bundestrojaner klare, unverhandelbare Positionen.
Was also tun? Epicenter.Works zu unterstützen und unser Umfeld aufzuklären, ist ein guter Start - aber das allein wird ein beschlossenes (!) Gesetz oder eine EU-Verordnung nicht kippen. Kolleg:innen haben in den Raum gestellt zu kündigen, sollte sich ihre Firma ihren Einstellungen zuwiderhandeln. Das ist sicher für manche ein Weg, aber es gibt einen besseren.
Am 14. November starten dieses Jahr die IT-Kollektivvertragsverhandlungen. Die GPA erstreitet hier die kollektivvertragliche Inflationsanpassung der Gehälter. Zu diesem Zweck hat die GPA einen Fragebogen zur Stimmung in der IT-Branche verschickt. Darin fallen zwei Fragen auf:
Bist du bereit, dich aktiv für einen Abschluss zu engagieren, sollte es bei den Verhandlungen zu Schwierigkeiten kommen?
- Ja
- Nein
- Enthaltung
[Wenn ja,] Was bist du bereit zu tun, sollte es bei den Verhandlungen zu Schwierigkeiten kommen?
- Ich würde an Betriebsversammlungen zum Protest teilnehmen.
- Ich würde an einer Demonstration teilnehmen.
- Ich würde an einem Warnstreik (kurzer Streik) teilnehmen.
- Ich würde auch länger streiken, bis die Arbeitgeber:innen-Seite einlenkt.
Anstatt zu resignieren, zu kündigen und damit die Arbeitskolleg:innen zu verlieren oder darauf zu hoffen, dass sich "alles zum Guten wenden wird" ist es an der Zeit, dass wir – Software Entwickler:innen, Architekt:innen, Data Scientists & Engineers, etc. – für unsere Ideale einstehen. Wir nutzen nicht Signal, VPNs, Tracking-Blocker und Co. um dann von der EU oder Österreich doch noch überwacht zu werden. Der Rückzug des Bundestrojaner-Beschlusses und der Stopp der Innenstadtüberwachung müssen unverhandelbare Forderungen bei den KV-Verhandlungen sein.
Wer glaubt, dass das nicht die richtige Bühne ist: Italienische und griechische Gewerkschaften haben es uns kürzlich mit Forderungen nach einem Stopp von Waffenlieferungen vorgemacht. Wir müssen uns unserer Macht bewusst werden: Wenn Rechenzentren nicht mehr laufen, im IT-Support niemand erreichbar ist, Bugs nicht gefixed werden und Plattformen nicht funktionieren weil wir streiken, gibt es auch niemanden sonst der das alles bedienen kann. Wenn Vorstandsgehälter und digitale Infrastruktur gefährdet sind, können sich die Mühlen der Politik plötzlich sehr schnell drehen.
Als diejenigen, die verstehen, was hier auf dem Spiel steht - nämlich nichts Geringeres als unsere Privatsphäre und unsere Freiheit – haben wir die Pflicht jede Chance zu nutzen, um uns und unser Umfeld vor Palantir und anderen Datenkraken zu schützen. IT ist Politik und hat direkte Auswirkungen auf jeden unserer Lebensbereiche.
Sprecht mit euren Kolleg:innen und euren Betriebsrät:innen darüber, schreibt Mails an die GPA, organisiert euch. Die GPA muss den Rückzug des Bundestrojaner-Beschlusses und den Stopp der Innenstadtüberwachung fordern. Nicht nach dem Motto "Fair Play, FAIR PAY". Überwachung und ausgehebelte Verschlüsselung sind nicht "Fair". Verhandeln wir stattdessen nach dem Motto "Sie spionieren, Wir blockieren – Für Privatsphäre und faire Löhne!".
Wenn ihr mehr machen wollt, meldet euch bei it-against-surveillance@proton.me. Bauen wir informierten, zivilgesellschaftlichen Widerstand gegen Überwachung auf.
Nachtrag: Beispielmail
Guten Tag,
mit Blick auf die IT-KV-Verhandlungen 2026 möchte ich als Gewerkschaftsmitglied meine Meinung einbringen.
Das Eintreten für Privacy und die Opposition gegen das Aushebeln von Ende-zu-Ende-Verschlüsselung [1], gegen großflächige Überwachung [2] und gegen den Bundestrojaner [3] sind für alle die ich in der IT-Branche kenne, klare, unverhandelbare Positionen.
Im Sinne einer Interessensvertretung ist also die Zeit gekommen, politische Forderungen in diese "partnerschaftlichen" Verhandlungen aufzunehmen. Die GPA muss bei den KV-Verhandlungen den Rückzug des Bundestrojaner-Beschlusses und den Stopp der Innenstadtüberwachung fordern. Selbst wenn sich ausschließlich für eine bessere Inflationsabdeckung keine Streiks organisieren lassen, bin ich der vollen Überzeugung, dass Streiks für diese Positionen auf breite Unterstützung in den Belegschaften treffen werden.
IT ist Politik, die jeden unserer Lebensbereiche betrifft - auch die der restlichen Arbeiter:innenklasse. Wir nutzen Verschlüsselung, Signal und VPNs weil wir wissen wie gefährlich Überwachung ist. Wir werden nicht dabei helfen ein Überwachungsregime aufzubauen.
Die IT - und insbesondere die GPA - hat es jetzt in der Hand, echte Sozialpolitik zu machen. Denn Überwachung und Aufbrechen von Verschlüsselung sind nicht "Fair Play", das ist ein Angriff auf die Arbeiter:innenklasse, der genauso beantwortet werden muss. Wenn Staat und EU spionieren, wird die IT blockieren. Das ist Interessensvertretung.
Freundliche Grüße
[1]: https://epicenter.works/content/chatkontrolle-massenueberwachung-getarnt-als-kinderschutz
[2]: https://epicenter.works/content/innenstadtueberwachung-mit-echtzeitzugriff-der-polizei-1
[3]: https://epicenter.works/content/bundestrojaner-beschlossen-und-jetzt