4.1 Der Verlust der politischen Mitte – Die stille Achse der Macht

4.1.0 Einleitung – Die Rückkehr der Stille

Die politische Mitte war lange der unscheinbare Kern Europas: kein Ort großer Gesten, sondern der Raum, in dem Verantwortung, Vernunft und Geduld ihre Sprache fanden. Sie war die Achse, um die sich Konflikt und Ausgleich drehten – still, aber stabil.
Heute ist diese Mitte ins Schweigen geraten.

Nicht weil sie verschwunden wäre, sondern weil sie nicht mehr verstanden wird. Zwischen polarisierter Öffentlichkeit und technokratischer Verwaltung hat sie ihre Stimme verloren – eine Stimme, die Komplexität aushalten und Unterschiedliches zusammenhalten konnte. Die Debatte ist zur Empörung geworden, und das Schweigen, das einst Bedacht bedeutete, gilt nun als Schwäche.

In dieser neuen Lautstärke wird das Bedürfnis nach Orientierung deutlicher denn je. Der Verlust der Mitte ist kein politisches Versagen, sondern ein Symptom gesellschaftlicher Überforderung – einer Welt, die zu viel sieht, zu schnell reagiert und zu selten innehält.

Angela Merkel war die letzte, die dieses Innehalten politisch praktizierte. Ihre Methode – Schweigen und Zeitgewinn – war nicht Ausdruck von Mutlosigkeit, sondern von Haltung. Doch die Welt, die sie zu stabilisieren versuchte, ist nicht mehr dieselbe.

Mit ihrem Auftritt in Ungarn 2025 wird sichtbar, was Europa verloren hat: die Fähigkeit, zwischen den Extremen zu vermitteln.