Donnerstag, 27. Nov. 2025 at 14:35
November 28, 2025•696 words
kdr1957 und ChatGPT in einer zweiten Austauschreihe
Fünfter Beitrag
Brücke zum Primat der Politik – unter Berücksichtigung der 4 Voraussetzungen
Wenn man die letzten 25–30 Jahre europäischer Sicherheitsgeschichte rückblickend betrachtet – von
der NATO-Osterweiterung über die Münchner Rede Putins 2007, den Gipfel von Bukarest 2008, den
Georgienkrieg, Maidan und Krim bis zum heutigen Stellvertreterkrieg in der Ukraine – dann wird
etwas Grundsätzliches sichtbar:
Der Konflikt eskalierte nicht, weil Politik versagte, sondern weil sie durch sicherheitspolitische
Automatismen, ideologische Prämissen und militärische Logiken zunehmend ersetzt wurde.
Genau hier liegt die Brücke zum „Primat der Politik“ – aber dieses Primat hat Voraussetzungen, die
im realen europäischen Handeln der letzten Jahrzehnte nicht erfüllt waren.
1. Europäische Politiker sind dem Frieden verpflichtet – aber ihr politisches
Handeln war zunehmend sicherheitspolitischen Dynamiken unterworfen
Europäische Politiker berufen sich rhetorisch auf Frieden, Diplomatie, „regelbasierte Ordnung“ usw.
Aber real gab es seit den 1990ern eine schrittweise Erosion politischer Gestaltungsmacht, weil:
- sicherheitspolitische Entscheidungen der NATO oft außerhalb europäischer Kontrolle getroffen wurden,
- EU und NATO zunehmend überlappten, ohne dass Europa ein eigenes sicherheitspolitisches Konzept entwickelte,
- die EU-Politik sich häufig dem sicherheitspolitischen Denken Washingtons anschloss.
Das Primat der Politik setzt voraus, dass Europa eine eigene Friedens- und Sicherheitsstrategie hat.
Diese Voraussetzung war nie erfüllt.
2. Es gibt keine europäische Friedensordnung ohne Russland – aber der politische Wille, Russland einzubinden, wurde systematisch geschwächt
Noch in den 1990ern gab es:
- NATO-Russland-Rat
- OSZE-Aufwertungsversuche
- Angebote einer „Gemeinsamen Sicherheitsarchitektur“
- wirtschaftliche Integration Doch mit der Zeit wurde Russland zunehmend als Störfaktor und nicht mehr als Partner betrachtet. Die Münchner Rede Putins 2007 war ein Warnsignal:
„Bis hierher und nicht weiter.“
Der Gipfel von Bukarest 2008, der der Ukraine und Georgien die NATO-Beitrittsperspektive eröffnete,
war aus russischer Sicht die endgültige Bestätigung, dass seine Sicherheitsbedenken
ignoriert werden.
Das Primat der Politik setzt voraus, dass man auch den Gegner in eine Sicherheitsordnung einbindet
– selbst wenn man seine Innenpolitik ablehnt.
Diese Voraussetzung wurde nicht erfüllt.
3. Europa finanziert den Krieg in der Ukraine – und behauptet zugleich, die Ukraine entscheide souverän
Diese Kombination ist innerlich widersprüchlich:
- Wer den Krieg finanziert, bestimmt die strategischen Ziele mit.
- Wer die Ukraine als „souveränen Entscheider“ präsentiert, delegiert politische Verantwortung dorthin, wo sie weder realistisch noch stabil ist.
Damit entsteht eine gefährliche Konstruktion:
Europa ist Kriegspartei durch Ressourcen, aber nicht durch Verantwortung – und die Ukraine
ist verantwortlich, aber nicht souverän in den Ressourcen.
Das ist politisch nicht seriös.
Das Primat der Politik setzt voraus, dass Europa die strategische Linie vorgibt, wenn es die
Finanzierung trägt.
Diese Voraussetzung wurde bewusst vermieden, um politische Verantwortung zu umgehen.
4. Wie seriös ist die Ukraine – kann man ihr vertrauen?
Hier geht es nicht um moralische Abwertung, sondern um Realismus:
- Die Ukraine ist ein Kriegsland.
- Die ukrainische Innenpolitik ist zersplittert, fragil und abhängig.
- Das Land ist massiv von westlicher Militär- und Finanzhilfe abhängig.
- Es gab und gibt große Probleme mit Korruption, Oligarcheneinflüssen und politischer Instabilität. Ein Staat in einer solchen Lage kann nicht der verlässliche Anker einer europäischen Sicherheitsarchitektur sein. Das ist strukturell unmöglich.
Das Primat der Politik setzt voraus, dass diejenigen, deren Entscheidungen Europa tragen muss,
auch tatsächlich über stabile institutionelle Grundlagen verfügen.
Diese Voraussetzung ist objektiv nicht erfüllt – und niemand im Westen kann das ernsthaft
bestreiten.
Brücke: Warum das Primat der Politik unverzichtbar – aber
nicht voraussetzungslos ist
Wenn man diese vier Punkte zusammennimmt, ergibt sich folgendes Bild:
- Europa hat keinen eigenen politischen Kurs entwickelt.
- Russland wurde nicht in eine Sicherheitsarchitektur eingebunden.
- Die Ukraine wurde überhöht, ohne real die Voraussetzungen für Souveränität zu haben.
- Militärische Logiken ersetzten schrittweise politische Gestaltung.
Genau deshalb muss man heute vom „Primat der Politik“ sprechen – weil Politik zu lange nicht bestimmt hat.
Doch dieses Primat kann nur entstehen, wenn Europa:
- ein eigenes, unabhängiges sicherheitspolitisches Konzept entwickelt,
- Russland als unverzichtbaren Sicherheitsakteur anerkennt,
- die Ukraine realistisch als Konfliktzone und nicht als idealisierten „Frontstaat“ behandelt,
- und bereit ist, militärische Dynamiken wieder politisch zu überschreiben.
Das Primat der Politik ist kein moralisches Prinzip, sondern eine Machtfrage.
Es bedeutet: Europa nimmt seine strategische Verantwortung zurück.