Wien // Schlechte Musik ist kein guter Ratgeber

Nur eine Woche ist vergangen und ich bin schon wieder in Party-Laune. Ein gutes Event ist angesagt. Da ich nicht in der Warteschlange stehen möchte, versuch ich online noch schnell ein Ticket zu kaufen - ausverkauft?! Plötzlich zeigt mein Handy aus dem Apple iOS Wallet ein Ticket für heute Abend an. Ich bin verwundert und denke erst an einen Fehler auf der Website, wo doch die Tickets ausverkauft waren. Mehrmals checke ich das Datum um einen Irrtum auszuschließen. Aber es scheint zu stimmen und so freue mich noch immer über den technischen Defekt. Bis es mir in den Kopf schießt, dass ich das Ticket bereits vor Wochen, lange vor meinem Urlaub gekauft hatte. Shit, mein Gedächtnis leidet.

Jedenfalls hatte ich einen super Tag. Sehr entspannt und zudem noch jemand super liebes kennengelernt und den Nachmittag mit ihm verbracht. Den Abend genieße ich für mich allein und schlafe noch gute 2 Stunden auf der Couch im Halbdunkeln. Die heutige Veranstaltung ist immer gut besucht. So wird empfohlen, vor 0:30 Uhr anzukommen. Eigentlich echt früh, aber auch ich versuche mich dran zu halten. Diesmal ist auch keine Polizei vor Ort. Ich kaufe zwei Pillen von einem Dealer. Er guckt mich an und fragt, ob ich „the Police“ bin. Ich antworte: „No, I’m a consumer“. Im weiteren Umkreis sehe ich mehrere Gruppen von Freunden, die auch alle brav eingekauft haben. Mittlerweile fühle ich mich als Extasy Kunde richtig old-school, da man überall nur Leute auf Speed, Mephedron oder Koks sieht.

Beim letzten Event war mir wieder ein Typ aufgefallen, der anfangs total normal und unschuldig auf der Tanzfläche war. Jemand vom Dorf, den man nichtmal der Großstadt zuordnen würde. Über den Abend haben er und seine Freunde dann immer wieder kleine Päcken zwischen Lippen und Zähne geschoben. Ich nehme an, dass es Mephedron Päcken sind, die sich auflösen. Jedenfalls sah er später gar nicht mehr gut aus. Die Augen geweitet und ohne Fixpunkt in der Gegend umherschauend. Seine Bewegungen war so langsam und unkoordiniert als würde er gleich umfallen. Immer wieder rennt er gegen Menschen und ich überlege kurz, ob ich Hilfe holen soll.

Jedenfalls ist es tatsächlich schon gut voll und ich muss einige Zeit an der Garderobe anstehen. Im Club ist es noch voller und der Main-Floor wird gerade geöffnet. Der Main Gig ist wieder zu 2 Uhr angesagt. Daher warte ich ich nis 1:30 Uhr bevor ich mit den Pillen anfange. Die Situation ist auch so nett. Die Musik ist gut, es ist super warm im Raum, die Lichteffekte zucken durch den Nebel und die Leute sind alle schon gut am Tanzen. Auch so kommt sowas wie eine euphorische Stimmung in mir auf.

Leider wird die Musik zunehmend monotoner und mir fallen die Bewegungen schwerer. Mein rechtes unteres Knie schmerzt leicht. Das Alter macht sich bemerkbar. Es war mir die letzten Male schon aufgefallen. Nachdem ich mein zweites kleines Bier gelehrt habe, gehe ich aufs WC und fülle die Flasche mit Wasser auf. Neben mir will noch jemand an den Wasserhahn. Ich gebe ihm ein Zeichen und lasse ihm den Vortritt. Plötzlich schaut er mich an, öffnet die Arme und heißt mich willkommen. Ich stehe verdutzt da und habe keinen Plan. Ich bitte ihm mir auf die Sprünge zu helfen, doch plötzlich erkenne ich ihn. Ein lieber Freund vom Segeln. Aber seine Haare sind kürzer und er hat leicht zugelegt. So dass ich ihn halt nicht gleich erkannt hatte. Wir unterhalten uns eine Weile am WC und dann gemeinsam mit seiner Freundin am Gang. Voll lustig, wen man alles so trifft. Am Waschbecken hatte er mich schon so komisch angeschaut. Er ist Arzt und kennt sicher die Nebenwirkungen von Drogen. Er schaut mir in die Augen, aber hey - ich hab „noch“ nichts eingeworfen. Er spricht mich aber auch nicht darauf an. Leider verlassen die beiden die Party schon wieder sehr früh. Schade!

Ich beiße ein kleines Eck von der Pille ab. Sicher nicht mehr als ein Viertel. Nach nur 10min merke ich das erste Kribbeln und die ersten Vorboten der Wirkung. Total verwundert schaue ich auf die Uhr. 10min sind zu kurz und eigentlich habe ich heute gut gegessen. Es dauert aber weitere 15min bis ich es richtig merke. Ein leichter Energieschub und die Musik klingt intensiver. Ich habe zwei Pillen und möchte nach Möglichkeit nicht alles verbrauchen. Ich weiß auch, dass die Wirkung immer kürzer bei mir anhält und meine Gewöhnung schon viel zu stark ist. Ich reche grob mit 30min bis zu einer Stunde bis die voller Wirkung je Hälfte einsetzt. Da zwei Pillen schon viel zu krasse Nebenwirkungen haben, möchte ich es langsam angehen.

Erst gegen 2:30 Uhr beiße ich wieder ein Viertel ab. Die Wirkung kommt wiederum nach etwa 30min, aber bei weitem nicht so stark. Aber es reicht. Dennoch fehlt der richtige Kick, in dem du von Energie durchflutet wirst. Weit später nehme ich den Rest der Pille. Ich merke keinen weiteren Unterschied und keinen neuen Energieschub. Es war schon vorher sehr heiß im Club und daher schwitze ich jetzt so richtig. Mehrmals gehe ich zum WC, spüle mir das Gesicht kalt ab und fülle meine Flasche mit Wasser auf. Die Nebenwirkungen halten sich heute in Grenzen. Ich kaue vorsorglich Kaugummi, aber die Kieferkrämpfe sind nicht spürbar. Beim letzten Mal hatte ich die aber auch erst 2 bis 3 Tage später und musste immer fleißig die Kiefermuskeln massieren.

Die Zeit verfliegt heute nicht so schnell wie sonst. Ich tanze vor mich hin, aber die Knochen fühlen sich schwer an und der Beat der Musik passt mir nicht. Die Melodien sind sehr monoton und jedes Stück unendlich lang. Obwohl es eine Gay-Veranstaltung ist, sehe ich fast nur Mädchen und ihre Freunde. Dennoch tanzen alle wieder mit leichten Körperberührungen. Da ist es wieder, dieses nette Gefühl, auch wenn die Euphorie heute wiedermal ausbleibt. Ich fühle mich wach, aber nicht sonderlich high. Ein Typ gibt mir einen Korb und so tanze ich weiter. Ich sehe ihn noch mehrfach am Abend und sein Zustand nimmt rapide ab. Entweder ist er nur müde, oder hat Speed genommen.

Über den Abend sehe ich wieder einige andere Gesichter, die ich schon öfter gesehen hab. Davon ein Typ, den ich schon eine Weile nicht mehr gesehen hatte. Er tanzt oben ohne und ich staune über seinen jungen Body. Aber sein Gesicht macht auf mich nicht mehr den feschen Eindruck, den ich damals im Kopf hatte. Naja, ich hatte einen tollen Tag und brauche jetzt keinen Typen. So tanze ich weiter.

Gegen 4 Uhr beiße ich ein kleines Stück von der zweiten Pille ab. Ich versuche mehr davon zu vermeiden. Ich will nicht wieder erst um 5 Uhr was nehmen und dann voll high heim gehen. Daher ist um 4 Uhr Schluß mit Nachwerfen. In Summe bin ich enttäuscht, dass die euphorische Wirkung nicht einsetzen will. Spätestens ab 5 Uhr normalisiert sich mein Zustand. Ich tanze immer weniger und fange an die Menschen zu beobachten. Die Energie ist weg. Dafür tritt das geistige Abdriften wieder ein. Weit weniger schlimm als beim letzten Mal als ich zwei Pillen genommen hab, aber ich merke es. Insgeheim freue ich mich, dass ich nicht noch mehr genommen habe.

Am Morgen scheint wieder wunderschön die Sonne rein. Pünktlich um 6 Uhr geht immer wieder das Licht an. Aber die Meute tanzt weiter. Leider ist die Musik heute einfach nicht gut. Ich überlege heimzugehen, tanze dann aber doch noch eine Weile mit. Leicht deprimiert, ob der fehlenden Wirkung und der schlechten Musik, gehe ich bald heim. Genieße die Wartezeit bei der U-Bahn und den frischen Wind im Sonnenlicht. Meine Pupillen sind auch nicht so weit offen. Eventuell waren die Pillen heute einfach minderwertig. Aber gut, so hab ich weniger Nebenwirkungen. Ich versuche dennoch den Blick nicht zu direkt ins Sonnenlicht zu drehen.

Vom ganzen Schweiß ist meine Haut und mein Gesicht von Salz übersät. Dennoch gehe ich ohne Duschen ins Bett. Zähneputzen muss reichen. Wie üblich wird der Vormittag eher unruhig, da das MDMA wieder ausgespült werden will. In der Nacht hatte ich wieder das eklige Aufschlucken vom vielen Wasser und vom säurehaltigen Magen. Sehr unangenehm. Gegen 12 Uhr stelle ich mir den Wecker auf 13:30 Uhr und schlafe nochmal durch. Als der Wecker läutet kann ich mich einfach nicht aufraffen. Die Wirkung ist nun wirklich weg und ich schlafe gerade so schön. Ich stelle den Wecker auf 15 Uhr und schlafe wieder tief und fest.

Ausgeruht esse ich um 16 Uhr Frühstück und verbringe den Rest des Tages gemütlich. Erst am Abend gehe ich joggen. Ich war mir zwar nicht sicher, ob das so eine gute Idee ist. Mein Blutdruck ist auch gleich relativ hoch, aber dennoch habe ich volle Energie und laufe bei gleichbleibendem Puls meine übliche Runde durch den Park. Ohne größere Anstrengung komme ich wieder heim. Komisch, sonst heute keine Nebenwirkungen.

Alles in allem merke ich aber, dass ich langsam aufhören sollte. Mein Körper hat sich zu sehr daran gewöhnt. Die positiven Effekte setzen kaum mehr ein oder halten nur noch für einen viel zu kurzen Zeitraum an. Die negativen Effekte wie Zahnschmerzen, wie ich sie heute auch wieder habe, oder das gedankliche Abdriften nehmen Oberhand. Darauf kann ich aber auch gut verzichten. Und andere Drogen wie Speed oder Mephedron will ich nicht wirklich ausprobieren. Deren Wirkung hält wohl länger. Aber die Opfer, die ich oft auf der Tanzfläche gesehen habe, zeichnen ein echt negatives Bild. Ein körperlicher Verfall im Zeitraffer. Da möchte ich nicht dazugehören. Mein Anblick im Spiegel war heute morgen und auch später durchaus normal. Gut so!

Davon abgesehen, merke ich aber wie mich Drogen doch auch in einer Art verändern, die ich positiv wahrnehme. Mein Zeitgefühl wird ein anderes. Auch jetzt während des Schreibens ist wieder recht viel Zeit vergangen, wie ich beim Blick auf die Uhr feststelle. Ich nehme Zeit anders war, viel langsamer und es stört mich nicht. Ich habe viel mehr Geduld und blicke entspannter in die Zukunft. Dafür vergesse ich manchmal Dinge und Begriffe. Selbst wenn ich ihn im Kopf habe, fällt mir das Wort nicht ein. Viele kennen solche Momente, aber ich habe sie jetzt deutlich öfter. Auch fange ich manchmal an zu sprechen und meine Wörter kommen in einem Kauderwelsch aus meinem Mund, so dass ich den Satz neu beginnen muss. Noch ist das nicht tragisch, aber ich behalte es im Auge.


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