Niemand will Österreich verteidigen - zurecht.

Europa rüstet sich für den Krieg - und jeder Krieg braucht Menschen. Menschen, die Güter transportieren. Menschen, die verwundete zusammenflicken. Menschen, die als Kanonenfutter an einer sinnlosen Front buchstäblich verheizt werden. Das Versprechen der liberalen Demokratie, jede:r könne mit dem eigenen Leben tun was man will, steht dem aber im Weg - kaum jemand meldet sich freiwillig zum Wehrdienst. Zurecht?

Wir müssen uns verteidigen können - die Weigerung der jungen Menschen das nicht zu tun zeigt, dass sie nicht wissen woher ihr Wohlstand kommt, und dass ihnen unsere Werte und Ideologie nichts wert sind. Die "Geistige Landesverteidigung" (OE1 Punkt1 vom 22.10.2025), also der Bildungsauftrag der Republiken ihren Bürger:innen aufzuzeigen, was es zu verteidigen gilt, ist durch den "hybriden Krieg", den Russland gegen uns führt, in Bedrängnis - wird aber meistens so oder so durch die Debatte Freiheitspanzer oder Staatstyrannei ersetzt - entweder Panzer die unsere Freiheit und unsere Werte schützen oder der Einfall des Tyrannenstaats Russland. Mit diesem Sentiment werden in Deutschland und Österreich in Zeiten von Aufrüstung die Wehrpflicht und das Milizsystem öffentlich "diskutiert".

"Nur ein Narr lässt sich von anderen sagen, wer seine Feinde sind" - ein Zitat der Revoulutionärin Assata Shakur. Wir sollten uns fragen, ob es wirklich so abstrus ist, dass junge Menschen "ihre" Republiken nicht mit Leib und Leben verteidigen wollen. Oft sind die Antworten darauf nämlich unzureichend und werden mit einer vagen moralischen Verantwortung abgeschmettert ("Willst du denn verantwortlich sein, dafür, dass unsere westliche Demokratie fällt?"). Die ORF Sendung "ZIB Talk" zu diesem Thema ist ein perfektes Beispiel dafür.

Es gibt aber eine klare Antwort auf die Frage "Wie machen wir weiter?", eine klare Strategie - die entzieht sich allerdings der Logik beider "Seiten". Aufrüstung, Landesverteidigung, Patriotismus und Wehrdienst sind nicht die Antwort. Genauso wenig ist es aber der Glaube an die neutrale, "friedliche", liberale Demokratie, die ihren Willen durch internationale Abkommen und Organisationen durchsetzt. Zur Antwort aber später - stellen wir uns zuerst die Frage "Wer oder was soll hier eigentlich verteidigt werden?".

Die Republik - die Verteidigte

Laut Thomas Wiegold (Journalist mit Schwerpunkt Verteidigungs- und Sicherheitspolitik; OE1 Punkt1 vom 22.10.2025) sind die verteidigten Güter neben materiellen Werten auch die immateriellen Werte "Demokratie", "Freiheit" und "Menschenrechte". Wenn man an diesen mächtigen Pfeilern Kritik übt, wird schnell mit "dann geh doch nach Russland, wenn dir das so gut gefällt" geantwortet - als würden diese Pfeiler zerfallen wenn man sie nur einmal schief ansieht. Solche Kommentare greifen zu kurz. Wenn ich mich entscheide etwas zu verteidigen, stelle ich mir die Frage "Ist es Wert mein Leben für dieses Gut zu geben" - wir kämpfen für und nicht gegen etwas. Wer gegen etwas kämpft, verliert den Willen zum Kampf über kurz oder lang.

Warum also wollen wir nicht für "Demokratie", "Freiheit", "Gleichheit" und "Menschenrechte" (kurz "den Westen") kämpfen? Klipp und klar: weil es Fassaden sind. Österreich hat wenig mit Demokratie zu tun, wenn in Wien knapp ein Drittel der Bevölkerung nicht bei allen Wahlen Stimmberechtigt sind. Das Versprechen, dass jede:r an Politik teilnehmen kann, ist ein schwaches, wenn man Parteiakademien durchlaufen, dem, offiziell nicht mehr vorhandenen, Klubzwang kleinbeigeben und über genug Kapital verfügen muss, um sich das auch noch leisten zu können. Ein Kreuz alle paar Jahre; eine Volksbegehren-Unterschrift im Jahr, die dann doch niergends hinführt. Selbst Bürger:innenräte wie der Klimarat werden - sollte man mitarbeiten können - einfach ignoriert.

Auch Freiheit hat in Österreich nur die Definition, das Recht zu haben, das eigene Leben "normal"/"wie alle anderen" zu leben. Freie Berufswahl - mit der Einschränkung, dass der Job mich gut genug bezahlen muss, dass ich mir mein Leben leisten kann. Freie Bildugswahl - mit der Einschränkung reiche Eltern zu brauchen, die das finanzieren können. Freie Religionsausübung - solange man kein Kopftuch in der Schule tragen will. Ein Drittel des Tages verbringen wir in einem autoritären System, das uns kontrolliert, uns Arbeit diktiert und uns ausbeutet - wir nennen das Arbeit in der freien Marktwirtschaft. Im zweiten Drittel muss man seiner gesellschaftlichen Rolle gerecht werden - Trans+ Personen kennen das, als die Freiheit zu sein, wer man will. (Das letzte Drittel verbringen wir mit Schlaf.)

Bei der Gleichheit zeigt sich dasselbe Bild: Der Gender-Pay-Gap ist in Österreich immer noch signifikant hoch. Von Gleichstellung zu sprechen, wenn Frauen durch einen neuen Wehrdienst gezwungen würden, später ins Berufsleben einzusteigen, ist also schlichtweg falsch. Es ist auch scheinheilig von Gleichheit zu sprechen, wenn die reichsten 5% der Bevölkerung über die Hälfte des Privatvermögens in Österreich besitzen. Es gibt Gleiche und die, die es sich in österreichischer Manier "richten können".

Wenn man über Freiheit, Gleichheit und Aufrüstung spricht, und die Menschenrechte ernst nimmt, muss man auch über die Klimaziele sprechen. Österreich bekennt sich offiziell zu (ohnehin zu wenig radikalen) Klimazielen. Jeder Cent der in Aufrüstung investiert wird, ist ein Cent der direkt zum Klimawandel beiträgt. Der CO2 Ausstoß der Kriegsindustrie ist riesig, ganz zu schweigen von der Umweltzerstörung eines Krieges durch Raketenbeschuss und Waldbrände. Klimaziele sind nicht mit Aufrüstung und Krieg (auch nicht mit einem "Verteidigungskrieg") vereinbar - dass es Österreich und der EU mit den Klimazielen nicht so wichtig ist bestätigt der Kriegskurs und die fehlenden Klimaziele für den nächsten Klimarat.

Und das alles passiert in einem Nationalstaat, der die Menschenrechte in der Verfassung festgeschrieben hat. Trotzdem werden tagtäglich Menschen rechtswidrig in unsichere Länder abgeschoben (verletzung Artikel 14.1 der UN Menschenrechtskonvention; die EU Menschenrechtecharta ist noch strenger) . Der Familiennachzug wurde gestoppt (Artikel 16.3). Frauen wird das Recht auf volle körperliche Selbstbestimmung immer noch verwehrt - Stichwort Fristenlösung (Artikel 12). Es passiert in einem Nationalstaat, in dem es trotz Wohlstand immer noch Obdachlosigkeit gibt und Menschen in diese abrutschen (Artikel 25.1). Es passiert in einem, laut Verfassung, antifaschistischen Staat, in dem ein antifaschistisches Bildungscamp von der Polizei gestürmt wird (Artikel 20.1).

"Aber, wir dürfen wählen; aber, wir haben unser Leben selbst in der Hand"; Nein. Kein "Aber".

Vom (Gebirgs-)Jäger zum Gejagten

Der Grund, warum Menschen "uns" nicht verteidigen wollen ist klar, wenn auch nur selten klar artikuliert (siehe ZiB Talk vom 21.10.2025): Wir sind von allem entfremdet, was wir gedrängt werden zu verteidigen. Es verwundert nicht, wenn niemand für jene Politiker ins Feld ziehen will, "die sowieso machen, was sie wollen" und "es sich sowieso richten". Da hilft auch kein Nostalgie-Patriotismus und kein moralisches "Wir-Müssen". Auch Argumente wie "Diese Dinge werden stetig besser, aber jetzt müssen wir zuerst...", sind lächerlich. Wer soll glauben, dass der Nationalstaat Österreich uns eine "soziale und internationale Ordnung [garantiert], in welcher die Rechte und Freiheiten dieser Deklaration [Menschenrechtecharta] voll realisiert werden können"? Wer soll unseren Politikern glauben, dass sie ihre humanistischen Wahlversprechen von Freiheit, Brüderlichkeit und Gerechtigkeit dieses mal aber wirklich umsetzen?

Uns muss klar sein was hier passiert: Der Kapitalismus, und damit auch die internationale Weltordnung, sind in einer Krise. Eine Krise, deren Wurzeln der kapitalistische Drang zum Wachstum, zu mehr Kapital, zu mehr Ausbeutung/Effizienz sind. Nationalstaaten mit ihren imperialistischen/geopolitischen Interessen sind nur das modernste Mittel der Regulierung von kapitalistischen Aktivitäten; und das Mittel der Wahl um dieses System gerade so erträglich zu halten, dass niemand dagegen aufbegehrt. Politiker:innen arbeiten in einem System, in dem sie die Interessen der Wirtschaft mit sozialen Interessen aufwiegen müssen, in dem sie die strategischen Interessen Österreichs und der EU mit einem offenen Krieg aufwiegen müssen. Nicht alle Politiker:innen sind korrupt und die wenigsten zielen bewusst darauf ab, der "eigenen" Bevölkerung zu schaden. Sie können aber nicht anders, als innerhalb dieses Systems zu arbeiten; innerhalb dieses Systems Lösungen anzubieten.

Und genau hier wird die Bevölkerung eines Landes vom (Gebirgs-)Jäger zum Gejagten. Denn um das System aufrecht zu erhalten, müssen Kapitalinteressen geschützt werden. Dann müssen staatliche Systeme wie die Polizei, das Militär, oder das Sozialwesen gegen Einflüsse von Außen geschützt werden. Der Geist hinter der Idee des Nationalstaats war Selbstbestimmung. Die Bestie die daraus geboren wurde, versucht uns jetzt aber weiszumachen, dass wir sie verteidigen müssen, wenn uns etwas an "unserem beschaulichen Leben" liegt, wie es der spanische Sender ABC treffend formuliert hat:

"Wir Europäer glauben, dass Frieden, Demokratie und soziales Wohlergehen untrennbar sind und, dass uns Vater Staat vor jeder Gefahr für unser beschauliches Leben schützen wird. Russland hat uns auf brutale Weise aus dieser Selbstzufriedenheit gerissen und uns mit etwas lebenswichtigen konfrontiert: der Verteidigung der Freiheit."

Mit der Intensivierung der kapitalistischen Krisen wird in Österreich seit geraumer Zeit der Sozialstaat zurückgebaut. In Deutschland gibt es immer wieder massive Repression gegen Pro-Palästina Demos. Während in beiden massive Aufrüstungsprogramme beschlossen wurden, die auf unsere Kosten gehen - auf die Kosten der Bevölkerung: Weniger Notstandshilfe, weniger Kindergeld, weniger dafür stärker kontrollierte Asylleistungen, mehr Kosten fürs Gesundheitssystem, weniger Bildungsmöglichkeiten/-chancen, ... Und jetzt redet uns diese humanistische Bestie ein schlechtes Gewissen ein, dass wir das auch noch verteidigen sollten.

Ein realer Ausweg

"Dann geh doch nach Russland." Zum einen: Wenn die Befürchtungen über Russland auch nur näherungsweise zutreffen, denen dieser Spruch entstammt, kommt Russland sowieso zu mir und ich muss nicht gehen. Aber Spaß beiseite: was ist der konkrete Ausweg - wie sieht die alternative zu Freiheitspanzer und Staatstyrannei aus? Klipp und Klar: eine ökosozialistische Revolution.

Während in den Medien meistens die zwei angesprochenen Seiten diskutiert werden, werden sie von revolutionären Umbrüchen meistens sehr überrascht. Es scheint immer unmöglich, dass Massenproteste und Bewegungen etwas verändern können - bis es "aufeinmal" und "aus dem Nichts heraus" passiert. Überall auf der Welt gibt es Organisationen, Gruppen, Bündnisse und Gewerkschaften, die täglich hart daran arbeiten, Menschen zu solidarisieren. Wir zeigen Menschen, dass es auch möglich ist ohne Chefs, Politiker:innen oder Nationalstaaten zu leben; und wir zeigen, dass das auch schon öfter passiert ist, als vielen bewusst ist. Der Kapitalismus hat diese Aufstände immer wieder niedergeschlagen (früher oder später); und trotzdem steht die Gesellschaft selbst nach einer verloreren Revolution oft besser da als davor. Die Betriebsratsstrukturen Österreichs und die Sozialbauten Wiens sind revolutionäres Erbe.

Ich will dieses Österreich nicht verteidigen. Ich will diese EU nicht verteidigen. Die Scheinheiligkeit, die Paktiererei mit Großkonzernen, die Kriegstreiberei, die unzähligen Toten im Mittelmeer - den Schuldigen werde ich nicht mein Leben oder auch nur ein gutes Wort schenken. Wer aber glaubt, dass eine bessere Welt möglich ist, dass eine gerechte, soziale Welt, die sich mit all ihrer Macht und Arbeitskraft um ihren Planeten und alle seine Kinder und deren Bedürfnisse kümmert; wer glaubt dass so etwas möglich wäre, kann nicht in Nationalstaaten-logik denken. So etwas geht im Kapitalismus nicht. Das geht mit einem Parlament von Berufspolitiker:innen nicht. Lassen wir uns nicht von kapitalistischer, liberaler, parlamentarischer, "humanistischer" Demokratie blenden - wir "normalen" Menschen - die Arbeiter:innenklasse - hat etwas besseres verdient. Wir kämpfen gegen alle Nationalstaaten, gegen alle Konzerne, gegen alle Faschisten und autoritären Machthaber. Für eine solidarische, internationale, sozialistische Ordnung kämpfe ich aus Überzeugung und solange ich kann - wenn es sein muss auch mit der Waffe. Assata Shakur: "Niemand auf der Welt, niemand in der Geschichte, hat jemals ihre Freiheit erlangt, indem sie an die Moral der Menschen appellierte, die sie unterdrückten." Es gibt eine Welt zu gewinnen. Wir revolutionären Sozialist:innen kämpfen für ehrlich eingehaltene Menschenrechte, für echte Demokratie von Unten, für echte Mitbestimmung, für einen intakten Planeten, für echte Freiheit für Alle.

Denn ganz ehrlich: Was ist denn die Alternative? Schließlich will niemand Österreich verteidigen - und zurecht!


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