Death Metal - der Soundtrack Kalis

Death Metal gilt selbst vielen Metalfans als befremdlich: Zu aggressiv das Schlagwerk, zu viel "Geschrei", zu schnell, zu hart, unangenehm zu hören. Geschrei wird allgemein mit Aufstand, Unordnung und Anarchie gleichgesetzt - mit etwas unzivilisiertem, denn zivilisierte Menschen müssen nicht schreien. Auch die Aggression, die durch das Screaming und Growling sowie durch die harten, tiefen, bedrohlich wirkenden Gitarrenriffs und das schnelle Schlagwerk ausgedrückt wird, für die der Drummer sämtliche Energie mobilisiert, ist befremdlich. Aggression wird als ungesteuerter Zerstörungsdrang, als Lust am Verderben gesehen. Geradezu barbarisch.

Diese Tendenz geht aber weit über Death Metal hinaus: Die Angst vor Demonstrationen und deren "Gewaltpotential", die Obszönität von BDSM - insbesondere dem Sadismus und Masochismus, Angst vor Kontrollverlust in jedweder Situation; Angst vor dem Mitgerissen- oder Radikalisiertwerden. Aber wo Ängste und Befremdung existieren, findet sich immer ein guter Anknüpfungspunkt, um über die eigene Psyche und unsere Gesellschaft nachzudenken.

Hinduismus und Meditation

Ich will verdammt sein
Wegen der Angst in uns
Wählen wir die brutale Seite aller Dinge
Immer haben wir Blut über andere Dinge gestellt
Ich will verdammt sein
Wegen der Angst in uns
gehen wir stimmenlos diesen Weg
Wir glauben, was wir glauben gesehen zu haben.
Es kommt.

Unvorhergesehen, die Brutalität dieses Traumes
Den Albtraum, den wir gezeugt haben
Der Fall dieser Welt, die wir versucht haben zu töten.

Anstattdessen füllen diese leeren Worte
die Welt des Patienten.
Wir greifen zu einer schnellen Lösung
Während wir dienen [engl. "serve" Militärdienst]

Ich will verdammt sein
in den sengenden Flammen
haben wir wieder die brutale Seite der Dinge gewählt
Immer haben wir Waffen und Gold über andere gestellt.
Ich will verdammt sein
Die Klauen in uns
Wir laufen mit verbundenen Augen durch das Leben
[...]

Die Angst die sie schüren
Unser Leben als Preis
Ich sehe das Licht
Farben verschwinden
Das Rad aus Flammen
In einem kalten, dunken Himmel
Ich heisse es willkommen
Und jetzt sterbe ich.
Ich habe gedient.
Ich habe an eine gute Tat geglaubt.
Ich habe geglaubt das reparieren zu können.
Ich glaubte ich könnte es finden.
Ich habe gedient.
Und ich bin auf die Knie gefallen,
und habe um mein Ende gefleht
Ich habe geglaubt, ich könnte Sinn finden.

Ich werde wo anders weitermachen,
wo ich in Frieden ruhen kann.
[...] Wo ich anstattdessen sterben kann.

Ich sterbe allein
Die Gewalt, nach der die Welt nun ruft
Ich sterbe allein
Die Gewalt die wir uns alle entgegengebracht haben

"While We Serve" - eine Death Metal Hymne von Orbit Culture aus der, von einer Freundin so benannten Kategorie "Der Text ist ja ganz gut, aber warum muss der so verpackt sein?". Die Antwort darauf findet sich in Weltanschauungen, die es in Europa gemeinhin schwer hatten. Weltanschauungen, die nicht den Menschen im Zentrum des Universums sehen, wie es der Humanismus gerne tut, sondern, anstattdessen, das Erleben selbst.

Kali, die bekannte hinduistische Gottheit der Zeit, des Todes und der Zerstörung. Oft als vierarmige blaue Göttin dargestellt, einen Säbel in der einen, einen Schädel in der anderen Hand, stehed auf dem Körper der Gottheit Shiva - "Der Zerstörer". Mindestens so blutrünstig wie manche christlichen Gemälde. Der zerstörerische Aspekt Kalis und Shivas hat aber eine andere Konnotation als wir sie in einem "westlichen Mindset" haben: das Niederreissen von bestehendem, um neuem Platz zu machen - um neues zu erschaffen. Kali und Shiva, körperliche Energie und Bewusstsein, verkörpern, dass es eine Balance zwischen Erschaffung, Erhaltung und Vergehen gibt. Die bürgerliche, liberale Demokratie, die noch gewaltsam erkämpft wurde, für deren Vorgänger Marie Antoinette noch ihren Kopf an die Guillotine verlor, hat vergessen, dass auch sie nur aus der Asche der alten Weltordnung erstanden ist. Aus jener Asche zu der alles zerfällt, wenn Shiva sein drittes Auge öffnet, das ansonsten nach innen gekehrt Einsicht symbolisiert.

Der Teufel ist tot, ich habe mich noch nie so gefühlt
bis ich das Tal brennend verlassen habe.
Lass es brennen, lass es sterben, erblinde das all sehende Auge
Aber ich weiss, dass der Rauch in der Hölle sich niemals lichten wird.
Der Geruch von brennender Eiche macht micih krank
Trotzdem atme ich tief, trotzdem gehe ich auf die andere Seite
Aber ich höre eine Stimme hinter mir 

Ich, das Auge [Wortspiel mit engl. "I" und "eye"] schliesst sich ein letztes Mal,
als ich durch die Flammen gegangen bin
Werde, der Wille [Wortspiel mit engl. "will"]  eines Biestes ist nichts, verglichen
mit dem Willen eines Gottes
dich, Du und ich sind eins
finden, ich werde meinen Frieden finden,
sobald die Knochen des Teufels zu meinen Füssen liegen.
Merk dir meine Worte:
Ich werde dich finden.

Ein Biest wird immer das Blut eines Feiglings riechen
Und ein einfältiger Tölpel wird immer dem schmalen Pfad hinunterfolgen
zu der Klinge, die selbst einen Gott bluten lassen kann.
Immer noch bist du schwach
Du bist nur ein Junge mit den Augen seiner Mutter,
der das Gewicht des Herzes seines Vaters trägt.

Es fühlt sich stets an als würde ich etwas zurücklassen.
Es ist kein Besitz oder jedwede Akzeptanz für das Leben.
Es bin ich.

Warum läuft man fort,
wenn man nicht weiss wer man ist?
Ich werde immer einen Schritt hinten nach sein,
bis ich realisiere, wer ich bin. [...]
Ich werde dich finden.

"bis ich realisiere, wer ich bin": Wer jemals Vipassana (eine Einsichts-Meditationsform) praktiziert hat, dem dürften zum Liedtext von Whitechapels' "I will find you" zahlreiche Vergleiche einfallen. Bei Vipassana geht es darum alle Empfindungen des Körpers, selbst die kleinsten (wie das Gefühl des feinsten Windhauches), zu beobachten, und diese zu akzeptieren, ohne sie zu bewerten oder ihnen nachzugehen. Dabei kommt es unweigerlich dazu, dass sich der leichte Juckreiz zum schlimmsten Kratzen entwickelt, oder die beiläufigste bemerkung des Arbeitskollegen von gestern den grössten Hass auslöst. Im Vipassana lernt man, zu akzeptieren, dass auf Empfindungen Emotionen folgen, und lernt, die Reaktion auf diese Emotionen zu kontrollieren, indem man sie erkennt.

Der Soundtrack Kalis

Aber was haben Shivas Intervention und "Emotionskontrolle" mit der Aggression von Death Metal oder der Angst vor Kontrollverlust zu tun? Wir brauchen keine Angst vor unseren Emotionen zu haben. Wer "schlechte" Emotionen vermeidet, frisst sie in sich hinein, verarbeitet sie nicht. Für Trauer, schlechte Laune oder depressive Phasen akzeptieren wir das inzwischen (zumindest zunehmend) - zu weinen und zuzugeben, dass es einem schlecht geht zählt inzwischen meist als Stärke. Trotzdem ziehen wir vor der Wut eine arbiträre Linie. Wir haben Angst vor uns selbst, zu was wir wohl fähig wären, was wir wohl tun würden, wenn wir richtig wütend wären.

Wir fressen also Wut in uns hinein - oft geben wir auch garnicht zu dass es Wut ist, lediglich Unzufriedenheit. Dabei ist es durchaus legitim, dass die in den Liedern angesprochenen Themen uns wütend machen: Die sinnlose Gewalt in Kriegen, die wir für "Geld und Vaterland" führen. Die albtraumhaften Situationen humanitärer Diesaster. Die Zerstörung von Lebensräumen. Selbst die Wut auf uns selbst, weil wir nicht wissen, wie wir mit all dem umgehen sollen. Die Wut auf sich selbst, sich nich aufraffen zu können.

Death Metal verleiht dieser Wut, ein aggressives Klangkorsett. Und genau weil es so einfach ist, sich dieser Aggression hinzugeben, in sie hineinzukippen, sie auszuleben; genau deshalb haben viele Menschen Angst davor. Es lohnt sich aber, sich auch dieser Emotion auszuliefern. Sich von Zeit zu Zeit in dieser Wut zu verlieren, denn nur so lernt man, wie man damit umgehen kann. Auf diese Weise erlebt, kann Wut eine unglaublich grosse Energiequelle sein. Sogar verbindend - in einem Moshpit wo alle eskalierend herumspringen, schubsen und schreien, aber sofort helfen, wenn eine:r zu Fall geht. Wut treibt an, oft mehr als andere Emotionen. Bei Demos verschafft man sich lauter Gehör, ein Leserbrief schreibt sich von ganz allein, Wut auf einen Angreifer macht Zivilcourage leichter. Wut geht nicht automatisch in Gewalt und Brutalität über; wie jede Emotion ist sie steuer- und verwendbar.

Auch Sadismus und Masochismus fallen in diese Kategorie, wobei hier das Spiel zwischen Extase, Schmerz, Gewalt, Akzeptanz, Unterordnung und Dominaz noch viel expliziter ist. Der Rahmen des gewollten wird hier im Vorhinein genau abgesteckt, damit man sich danach voll und ganz in die Extreme flüchten, sie kennenlernen kann. Unterwürfige erleben hier Hilflosigkeit und Kontrollverlust als Zustände der absoluten Freiheit - der absoluten Akzeptanz.

Wir sind Menschen, wir haben Gefühle. Und genau das kann man von Death Metal, BDSM und bei wütenden Massendemos lernen. Man lernt dabei sehr viel über sich selbst und die eigenen Ängste.

In diesem Sinne, lern dich kennen ...


You'll only receive email when they publish something new.

More from Echo
All posts