Dienstag, 28. Okt. 2025 at 08:20

4.1.3 Nach dem Schweigen – Wege zur neuen Mitte

Schweigen war einst eine Tugend der Mitte. Es bedeutete: zuhören, prüfen, Verantwortung übernehmen. In einer Zeit permanenter Überforderung war es die leise Form der Vernunft. Heute hat es seine Bedeutung verloren.
Die Mitte, die einst Stabilität versprach, ist zum Resonanzraum des Unbehagens geworden – nicht, weil sie nichts mehr zu sagen hätte, sondern weil sie in der Sprache der Gegenwart nicht mehr gehört wird.

Die Wiedergewinnung dieser Mitte wird nicht durch Programme oder Parteistrukturen gelingen. Sie beginnt mit einer neuen Kultur des Sprechens: mit Geduld, mit Unterscheidungsvermögen, mit der Bereitschaft, Komplexität wieder zuzulassen.
Politik darf nicht länger auf Zustimmung zielen, sondern auf Verständigung.

Vielleicht liegt darin die eigentliche Aufgabe der kommenden Jahre: eine Sprache zurückzugewinnen, die nicht trennt, sondern trägt.
Eine Sprache, die Verantwortung nicht delegiert, sondern teilt.
Eine Sprache, die das Schweigen nicht verdammt, sondern versteht – als notwendige Pause zwischen zwei Sätzen einer Gesellschaft, die sich neu zu ordnen beginnt.

Gerechtigkeit beginnt dort, wo Sprache wieder Verantwortung übernimmt.