[📰] Wider die Konsumentenmentalität
March 15, 2025•1,630 words
Wider die Konsumentenmentalität
Man verfolgt das Weltgeschehen, Partei- und Lokalpolitik, hört Podcasts, liest Bücher, macht persönliche Erfahrungen. Das trifft auf die geehrte Leserschaft wie auch auf mich zu. Es entstehen Fragen und auf viele findet man weder aus den genannten Quellen noch sich selbst eine zufriedenstellende Antwort.
Eine Frage eben dieser Sorte beschäftigt mich nun schon seit geraumer Zeit und betrifft die derzeitige Natur unserer Gesellschaft und die Menschen in ihr, teils sogar ungeachtet ihrer politischen Einstellung oder Zuordnung.
Dinge laufen falsch, darüber austauschen wird immer schwieriger. Wir werden unfreier, doch der normale Bundesbürger scheint daran keinen Anstoß zu finden oder hat es noch nicht realisiert.
Wie kann das sein? Ein Erklärungsansatz:
Das Ergebnis der deutschen Sozialisation durch Medien und Schule ist ein Konsument.
Die Wirkungsweisen der unterschiedlichen Einflussgrößen bis dahin könnten an dieser Stelle psychologisch, soziologisch, philosophisch oder unter Zuhilfenahme anderer Disziplinen näher beleuchtet werden, aber lassen sie uns diese gar nicht Mal so bahnbrechende These als Ausgangspunkt der weiteren Betrachtung heranziehen und Basistermini der Ökonomie verwenden.
Zwängen wir die Komplexität menschlichen Miteinanders einmal in das Korsett grundsätzlichster Wirtschaftsgefüge, so erhalten wir die zwei Enden eines recht ausgedehnten Kontinuums namens Konsument versus Produzent. Einigen wir uns auf diese Ebene, nicht zuletzt im Sinne einer zielführenden Analyse, beginnen die spannenden Fragen – zuvorderst:
Was unterscheidet diese beiden Typen?
Sicherlich eine Menge, in verschiedenen Abstufungen und Wechselwirkungen, aber Charakterisieren wir das eine Ende des Spektrums, so erschaffen wir bereits das Gegenmodell zum anderen.
In der Sender-Empfänger Dyade entwickelt sich der Konsument selten zum Sender und ist selbst als Empfänger zumeist vollkommen austauschbar. Er bietet in bestimmten Situationen einen Mehrwert, ist dabei aber selten in einer aktiven Rolle und generiert niemals eigenständig Wert aus sich heraus. Dadurch er lediglich konsumiert, entsteht weder in noch aus ihm etwas Neues.
Er wird bespielt, aber selbst das Spiel muss angeleitet sein, damit er daran teilnehmen, es überhaupt wahrnehmen kann. Ideen, Überzeugungen, Meinungen kommen aus dem Außen, sind aber abrufbar und erscheinen daher von Zeit zu Zeit genuin, können in der Betrachtung aber nicht als derart bewertet werden. Der innere Monolog ist für ihn keine Selbstverständlichkeit. Kommt es jedoch zum Gespräch mit einem Produzenten (seinem produktiven Gegenpart), merkt dieser schnell, dass der Austausch einseitig ist und Input der Gegenseite nicht von dieser stammt, sie entsprechend größtenteils obsolet für die Interaktion ist. Versierte Leser der Internet- und/oder Computerspielekultur mögen sich an dieser Stelle einen in Sachen Selbstständigkeit und Entscheidungsfreiheit kaum messbar besseren non-player-character (NPC) vorstellen.
Unter anderem hat auch die aktuell (natürlich nur augenscheinlich) pausierte C-Krise die Unterschiedlichkeit dieser beiden Gegenpole erneut zutage gefördert, und zwar in einer Eklatanz wie vielleicht noch niemals zuvor. Wer die Probe aufs Exempel vollzogen hat, kam schnell dahinter, welche Vokabel zu welcher Reaktion führt und zwar wieder und wieder replizierbar. Wie Fäden an einer Marionette:
„Freiheit“ – „…hört da auf, wo meine Gesundheit beginnt!“.
„Selbstbestimmung“ – „…ist doch nur ein anderes Wort für deinen Egoismus!“
„Zwang“ – „…muss dann angewendet werden, wenn gute Argumente nicht zum richtigen Handeln bewegen!“
„wIsSeNsChAfT“ – „… ist zu vertrauen! Sie bringt uns zurück zur Normalität!“
„Hospitalisierung“ – „… warst du Mal im Krankenhaus? Hast du gesehen, wie schlimm das an so einem Beatmungsgerät ist?!“
„Impfversagen“ – *autistisches Kreischen*
Ein anderer Dauerbrenner, der üblicherweise aus ähnlicher Richtung kommt:
„Fettleibigkeit“ - „… ist ein obsoleter Begriff patriarchaler Vergangenheit! Heute sind wir body positive!“
und jetzt ganz neu im Kanon:
„Trump/Elon“ – „… ist mindestens. so schlimm wie Hitler!“
... die Liste ist längst nicht vollständig, so gar nicht mehr aktuell und sehr oberflächlich, führt aber vor Augen, dass der ewige Konsument nicht Mal mehr ein Abziehbildchen von einem mündigen Bürger im wahren Wortsinn ist. Schlimmer noch, denn hilft er nicht sich selbst, diesem unwürdigen Zustand zu entkommen, verbleibt er in seiner Rolle als Verbraucher und tut er nichts anderes, ist er kein benötigter Teil eines gesunden Systems. Fast schon ein Glück für ihn, dass wir nicht in einem solchen leben...
Führen wir meine Abhandlung auf eine noch allgemeinere Ebene. Der Konsument bleibt Arbeitnehmer und nicht -geber, Abonnent und nicht Besitzer, Schuldner und nicht Gläubiger und zur Freude von Mutter Staat: auf ewig Steuerzahler. Von daher verwundert es nicht, dass systemseitige Prozesse so ausgestaltet sind, wie sie es nun mal sind, das Gros der Bundesbürger bestenfalls in diese Kategorie fällt und ihr niemals versucht zu entfliehen. Geliefert wie bestellt.
Ich ließe ja mit mir reden, dahingehend, dass die Masse einer Gesellschaft ab einer gewissen Größe selbstverständlich aus Gefolgsleuten bestehen muss, um interne Stabilität zu gewährleisten, wäre die Stabilität nicht auch bei uns auf solch tönernen Füßen, das goldene Kalb des omnipräsenten Konsums nicht so aufpoliert und hoch gehangen - das Schöpfungspotential des BRD Bürgers nicht derart kastriert und seiner menschlichen Würde beraubt. Mit Blick auf das postmoderne heute und das Verhältnis von Konsumenten zu Produzenten, bleibt mir also lediglich zu erwidern, dass das Pareto Optimum überschossen wurde.
Dennoch Grund zur Hoffnung
An dieser Stelle bietet es sich an ein Zitat von Friedrich Nietzsche zu bemühen:
„Aber die Faulheit, welche im Grunde der Seele des Tätigen liegt, verhindert den Menschen, das Wasser aus seinem eigenen Brunnen zu schöpfen.“
Ein schonungslos ehrlicher Satz, der durchaus in Kontrast zu gängigen Auffassungen steht und doch einen großen Hoffnungsschimmer birgt.
Aber vielleicht zunächst zu denen, welche nach meiner Interpretation zu den „Tätigen“ im Sinne Nietzsches zählen. Diese erscheinen mir ähnlich charakterisiert, wie die vorangegangenen Absätze es in Hinblick auf den gemeinem „Konsumenten“ getan haben, wenn auch aus anderer Perspektive und mit anderen Vokabeln. Unser liebster Philosoph tat es mit teils positiv konnotierten Umschreibungen, meinte diese im Kontext der menschlichen Unzulänglichkeiten aber keineswegs so. Tätig und eifrig, ja, aber auch rast- und ruhelos, letztlich unvernünftig. Im Grunde faul. So scheinen die Tätigen zu sein, ungeachtet dessen, welcher Tätigkeit sie nachgehen.
An dieser Stelle könnte das ein oder andere Fragezeichen entstehen, denn wie können die Tätigen denn unproduktiv sein bzw. worauf will ich hinaus, wenn ich diese Gegenüberstellung im Zusammenhang mit dem zuvor erwähnten Konsumenten/Produzenten-Vergleich nenne?
Nun, das führt uns auf eine Betrachtungsebene, welche differenzierter unterscheiden kann zwischen der Qualität und dem Mehrwert eines Produktes. Dieses kann letztlich natürlich auch physischer Natur sein, zielt hier aber eher auf das Ergebnis eines Gedankenprozesses ab. Ein Prozess, der einiges abverlangt. Zeit, Mühe, Ehrlichkeit zu sich selbst, Unbehagen aufgrund von Verwerfungen im sozialen Umfeld oder den Widersprüchen, die man im eigenen Denken aufgetan hat. Die Qualität dieses Prozesses obliegt einem selbst und sogar die Dauer und Intensität der enthaltenen Teilschritte steht unter unserer Kontrolle, praktisch vergleichbar mit dem Umgang hinsichtlich kalorischer Energieverwertung, welche die Gegenüberstellung erneut unterstreicht.
Man könnte sich eine schnelle „Mahlzeit“ aus dem Tiefkühlfach in der Mikrowelle „zubereiten“, um anschließend mehr oder minder gesättigt den stressigen Tag ausklingen zu lassen. Ebenso könnte man sich ein nahrhaftes Gericht, bestehend aus regionalen Zutaten, frisch zubereiten, um dem eigenen Körper ausreichend Energie zuzuführen, damit dieser den folgenden Sporteinheiten standhält und der Muskel wächst.
Letzteres darf produktiv genannt werden, ersteres fällt in eine andere Kategorie, wenn auch der erdachte Protagonist dieses Szenarios „tätig“ war. Zugegeben, eine vereinfachte Analogie, aber sie scheint mir eingängig übertragbar auf komplexere Abläufe und veranschaulicht erneut die Charakteristika des Konsumierenden und des Produzierenden. In die Betrachtung einfließen sollten entsprechend auch qualitative Faktoren des Kontextes, der Intention sowie des Bewusstseins, die gemeinsam bestimmen, in Richtung welchen Endes des Kontinuums sich ein Mensch bewegt.
Zurück zum vorherigen Zitat: Worin besteht nun der erwähnte Hoffnungsschimmer?
Darin, dass der von Nietzsche vorgebrachte Brunnen überhaupt existiert - ob nun verdeckt, schwer erreichbar oder sogar vergiftet. Dieser Quell versiegt erst mit dem Tod.
Es gilt lediglich die menschliche Faulheit, die „Faulheit […] des Tätigen“ zu überwinden. Keine zu unterschätzende Aufgabe, versucht doch der Leviathan uns jede Minute jeder Stunde eines jeden Tages unseres Lebens genau daran zu hindern. Unmöglich ist es jedoch nicht. Es hängt von vielen kleinen Entscheidungen und daraus resultierenden Handlungen ab, die in Gänze den Charakter, die Identität und das Bewusstsein des Menschen ausmachen. Daher bleibt mein Ansatz, die Frage aufzuwerfen, wer man sein, wie man von außen wahrgenommen werden möchte und nicht zuletzt auch von wem. Wird man dem Anspruch an sich selbst gerecht, verbliebe man in der Konsumentenrolle?
Überwindung durch bewusstes Handeln
An dieser Stelle gilt es sich einiger Dinge bewusst zu werden.
Bewusstwerden ob der Unehrlichkeit sich selbst gegenüber, versucht man erneut die simple Befriedigung von Konsumgelüsten als fundierte Kaufentscheidung zu tarnen. Nein, es muss kein verchromtes Ensemble aus italienischem Siebträger und dazugehörigem Kegelmahlwerk sein, weil man ja so ein Kaffeeliebhaber ist oder die nette Dame im Geschäft einen sogar connoisseur genannt hat. Gute Bohnen und das richtige Rezept reichen für exzellenten Filterkaffee vollkommen aus. Nein, für den ausgedehnten Sonntagsspaziergang muss es nicht unbedingt der hochpreisige Vibramstiefel mit Geröllschutzrand sein, weil man seinem aktiven Lebensstil frönen möchte. Der eingelaufene Turnschuh reicht da vielleicht schon aus, sollte man sich doch auf die Aktivität und nicht die vermeintlich benötigte Ausrüstung konzentrieren. Nein, wünscht man zu musizieren, muss es auch nicht der limited edition Stratocaster sein. Eine gebrauchte Gitarre vom Nachbarn wird für den Anfang und weit darüber hinaus wohl ausreichend sein. Und zu guter Letzt – es ist mir eine Wonne, dieses Beispiel niederzuschreiben – Nein, der neue Plug-In Hybrid ist kein Baustein deines grünen Lebensstils. Er ist das Ergebnis eines Verdrängungsmechanismus, der dich daran hindert, den unangenehmen Weg tatsächlicher Nachhaltigkeit zu gehen.
Der Mensch verfällt zu gerne dem Trugschluss, die beschwerliche Reise zum Sein sei mittels dem Haben glitzernder Spielereien, die zusätzlich noch als identitätsstiftend vermarktet werden, abzukürzen. Dem ist nicht so. Es bedeutete schon immer Entbehrung und Opfer, der zu werden, der man sein möchte – in der modernen Welt wahrscheinlich sogar, um der zu werden, der man ist. In deinem Fall hoffentlich ein Produzent.
Die Mühen sollen nicht ohne Lohn bleiben...