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Mo 11.04.2022

Nachdem F. in der Kita ist, fühle ich heroischen Aktionismus: Ich lege die drei Waschladungen getrocknete Wäsche zusammen, die sich auf unserer Wäschespinne seit Tagen zu einem monolithischen Mahnmal türmen.

Ich denke darüber nach, wie alles im Körper verbunden ist, ein Teil geht nicht und man liegt flach. Ich nehme an einem Online-Seminar über Urheberrecht teil und gehöre jetzt auch zu denen, die schamlos die Kamera ausgeschaltet haben, während die Dozierenden das Seminar gestalten. Wir sprechen Vertragsangelegenheiten durch, die mich betreffen könnten. Ich spüre diesen Grimm auf alle Ideenklauer und Kleingeister, die nur auf die nächstbeste billige Idee aus sind - und frage mich gleichzeitig, ob ich nicht auch so einer bin. Dabei esse ich Hummus mit Nudel-Resten.

In der U-Bahn summe ich die Gesangsstimme hinter der FFP2-Maske mit. Es kann sein, dass man mich trotzdem hört, aber ich bilde mir ein, dass man mich wegen der Maske schlechter erkennt - als ob jemand mit meinem schief summenden Gesicht etwas anzufangen wüsste.
Die Gesangsprobe läuft dann auch zufriedenstellend, wenn man bedenkt, dass ich noch nie im leben mehrstimmig und auf einer Bühne gesungen habe. Es ist schon ziemlich verrückt!

Wir spielen wieder sehr energetisch, das Stück rutscht gut durch den Abend. Beim Aufräumen fallen mir zwei junge Schülerinnen auf, die unseren Intendaten darauf hinweisen, dass eine bestimmte Szene im Stück problematisch sei. Es ist eine Szene, mit der ich auch in den Proben immer wieder Probleme hatte, die mit der rassistischen Darstellung von asiatischen Klischees arbeitet. An diesem Abend fallen mir zwei Dinge ein:

  1. Wenn ich jemanden auf Rassismus hinweise, verspüre ich das Bedürfnis, mich für diesen Eindruck zu rechtfertigen. Aber liegt es nicht vielmehr in der Pflicht des Anderen mir zu erklären, was an seinem Handeln NICHT rassistisch ist?
  2. Unwissender "Humor" (über zum Beispiel Frauen, DDR-Bürger, Stotterer, Schwarze, Chinesen, Schwule, etc. etc.) gehörte bis in die 00er Jahre zur Popkultur verschiedenster Generationen und Länder. Diese Menschen schauen ratlos: "Wie kann etwas problematisch sein, worüber wir doch vor dem Fernseher so unbefangen gelacht haben?" Der Sprung von Pop zu Problem scheint manchen Menschen schwer zu fallen. Und überhaupt
  3. wenn man mir in solchen Fällen mit dem geflügelten Wort "Satire darf alles" begegnet, so stimme ich dem zwar allgemein zu, aber muss dann aber fragen: "Was ist für dich Satire?" Und da sind wir dann eben doch schnell bei Herrschaftsverhältnissen, Machtstrukturen und politischer Anklage. Und bitte was, außer plumper Privatfernseh-Comedy, hat die stereotyp-rassistische Darstellung eines Chinesen mit pointierter politischer Anklage zu tun?

Genau - gar nichts!


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