FG Sachsen-Anhalt: Vorsteuerabzug trotz fehlender Angabe des Lieferzeitpunkts in der Eingangsrechnung

FG Sachsen-Anhalt: Vorsteuerabzug trotz fehlender Angabe des Lieferzeitpunkts in der Eingangsrechnung

LexInform Dok.-Nr.: 5024554

Finanzgericht des Landes Sachsen-Anhalt, 3-K-608/16
Urteil vom 09.09.2020

Vorsteuerabzug trotz fehlender Angabe des Lieferzeitpunkts in der Eingangsrechnung

Orientierungssatz:

Eine zum Vorsteuerabzug berechtigende Rechnung muss grundsätzlich unter anderem das Leistungsdatum enthalten. Der Vorsteuerabzug ist aber auch dann zu gewähren, wenn zwar in der Rechnung der Lieferzeitpunkt nicht angegeben ist, definitiv nicht mit dem Rechnungsdatum übereinstimmt und sich daher auch nicht aus dem Rechnungsdatum ableiten lässt, wenn sich der Lieferzeitpunkt jedoch aus anderen vorliegenden Unterlagen ergibt und somit feststeht, dass die materiellen Voraussetzung für den Vorsteuerabzug unzweifelhaft gegeben sind (gegen BFH-Rechtsprechung und gegen UStAE 15.2a; Anschluss an EuGH-Rechtsprechung).

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten sich über die Berechtigung der Klägerin zum Vorsteuerabzug i.H.v. EUR aus zwei Rechnungen derselben Rechnungsnummer (ohne konkrete Angabe des Lieferzeitpunktes) über eine im Jahr 2007 erfolgte und vollständig bezahlte Lieferung einer CNC Wälzstoßmaschine.
Die Klägerin wurde im Jahr 1995 gegründet.

Die Klägerin versteuerte ihre Umsätze im Streitjahr 2007 nach vereinbarten Entgelten.
Sie bestellte bei der B am 20. April 2006 eine CNC-Wälzstoßmaschine für einen Gesamtkaufpreis von EUR zzgl. Umsatzsteuer. Sie beabsichtigte, einen Teil des Kaufpreises durch staatliche Fördermittel (Investitionszulage) zu finanzieren. Die Auftragsbestätigung datiert auf den 25. April 2006. Hierin wurde als Liefertermin der 31. Dezember 2006 bestätigt, gleichzeitig aber unter „interne Anmerkungen” folgendes ausgeführt: „Die Maschine wird durch Fördermittel finanziert. Der externe Liefertermin muss deshalb 31.12.2006 lauten. Intern wird die Maschine wie vereinbart für Lieferung in KW 04/2007 geplant. Wir erhalten zu gegebenem Zeitpunkt eine Übernahme von A”. In dem im Zusammenhang mit der Übersendung der Auftragsbestätigung übersandten Anschreiben der Lieferantin vom 11. Mai 2006 wurde zum einen auf die Geltung der beigefügten VDW-Nr. 502 Lieferbedingungen hingewiesen und eine Vor- und Endabnahme vereinbart. Die Lieferbedingungen regeln unter Ziffer IV Nr.1, dass die Abnahme für den Gefahrübergang maßgeblich ist, sofern eine solche zu erfolgen hat. Die Maschine wurde bereits in der Auftragsbestätigung mit einer Seriennummer (29 690) individualisiert. Diese Nummer ist in allen weiteren Dokumenten (insbesondere in Rechnungen und im Abnahmeprotokoll) angegeben.

Ausweislich eines in den Akten befindlichen Lieferscheines wurde die Maschine am 20. Februar 2007 am Sitz der Klägerin übergeben. Es existiert zudem ein Protokoll über eine Endabnahme am 30. März 2007.

Die B stellte hinsichtlich der vereinbarten Lieferung folgende Rechnungen aus:

Rechnung Nr. 95270702 vom 11.05.2006 (Anzahlungsrechnung)

EUR zzgl. EUR USt

Rechnung Nr. 95223832 vom 29.12.2006 (2. Anzahlung)

EUR zzgl. EUR USt

Rechnung Nr. 95223832 vom 31.12.2006 (Abschlussrechnung)

EUR zzgl. EUR USt

Sämtliche o.g. Rechnungen enthielten keine Angabe des Lieferzeitpunkt, sondern lediglich den Hinweis „Lieferung durch Spedition”. Die Klägerin zahlte die erste Rechnung noch im Jahr 2006, die weiteren Rechnungen am 20. März 2007 bzw. am 4. Mai 2007.

Daneben existiert eine Rechnung vom 31. Dezember 2006 i.H.v. EUR zzgl. EUR USt, Rechnung Nr. 95223832, die als Lieferdatum „Jan/Feb. 2007” auswies. Diese Rechnung wurde von der Rechnungsausstellerin im Jahr 2007 storniert. Ferner existiert eine „Abschlussrechnung” vom 29.12.2006 i.H.v. EUR zzgl. EUR USt (Rechnung Nr. 95223832). Diese Rechnung enthielt zusätzliche Werkzeugausrüstungen und wurde von ebenfalls von der Lieferantin mit Schreiben vom 26. Juli 2007 storniert.

Die Klägerin reichte die Umsatzsteuerjahreserklärung für 2007, mit der sie eine festzusetzende Umsatzsteuer i.H.v. EUR erklärte, am 27. Juni 2008 beim Beklagten ein. Hierin enthalten war u.a. ein Vorsteuerbetrag von EUR aus den o.g. Rechnungen (jeweils Nr. 95223832) vom 29. Dezember 2006 und 31. Dezember 2006. Die Erklärung stand damit gem. § 168 Abgabenordnung (AO) einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleich.
Der Beklagte führte bei der Klägerin in der Zeit vom 30. September 2011 bis 21. Dezember 2011 eine steuerliche Betriebsprüfung durch, die sich neben der Investitionszulage für 2006 u.a. auf Umsatzsteuer 2007 bezog. Der Betriebsprüfungsbericht, auf den hinsichtlich der Einzelheiten Bezug genommen wird, datiert auf den 29. Dezember 2011.

Der Beklagte stellte u.a. fest, dass der Klägerin für die CNC-Wälzstoßmaschine im Jahr 2006 Investitionszulage gewährt worden sei. Im Rahmen der Betriebsprüfung hätten sich aber Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die Maschine tatsächlich erst im Jahr 2007 geliefert worden sei. Dies habe zur Folge, dass zum einen die Investitionszulage nicht zu gewähren sei. Zum anderen sei die Rechnungslegung der Lieferantin mittels diverser Ausgangsrechnungen zum 31. Dezember 2006 erfolgt. Zu der tatsächlichen Lieferung im Jahr 2007 existierten keine Rechnungen. Es handele sich bei den vorgelegten Rechnungen insoweit um Scheinrechnungen, so dass die im Jahr 2007 geltend gemachte Vorsteuer von EUR nicht gewährt werden könne.
In Auswertung des Betriebsprüfungsberichtes erließ der Beklagte am 19. Januar 2012 einen gem. § 164 Abs. 2 AO geänderten Bescheid über Umsatzsteuer für 2007, in dem er die Steuer um EUR auf EUR heraufsetzte. Den Vorbehalt der Nachprüfung hob er auf.
Hiergegen legte die Klägerin am 17. Februar 2012 Einspruch ein.
Sie trug vor, dass Scheinrechnungen nicht vorlägen. Die Schlussrechnung vom 31. Dezember 2006 über EUR netto sei storniert und durch die Rechnungen vom 29. und 31. Dezember 2006 über jeweils EUR netto ersetzt worden. Im Zusammenhang mit der Stornierung seien die beiden Rechnungen erst im Jahr 2007 zugestellt worden, so dass der Vorsteueranspruch im Jahr 2007 bestehe.
Mit der Einspruchsentscheidung vom 19. Mai 2016, einem Donnerstag, setzte der Beklagte die Umsatzsteuer für 2007 wegen eines nicht mehr streitgegenständlichen Sachverhaltes (Minderung von Umsätzen zum Regelsteuersatz i.H.v. EUR) auf EUR herab. Im Übrigen wies er den Einspruch als unbegründet zurück.

Die hiergegen gerichtete Klage ist am 23. Juni 2016 bei Gericht eingegangen.

Die Klägerin trägt vor, dass die streitigen Rechnungen der B entgegen der Auffassung des Beklagten, der in der Einspruchsentscheidung von einer Rechnungsangabe des Lieferzeitpunkts in 2006 spreche, gerade keine eindeutigen Angaben zum Lieferzeitpunkt enthielten. Lediglich die Schlussrechnung vom 31. Dezember 2006 über EUR, die später auf Grund der Nichtberücksichtigung der bereits im Jahr 2006 geleisteten Anzahlung storniert worden sei, habe als Leistungszeitraum Januar/Februar 2007 ausgewiesen. Die neue Abschlussrechnung vom 31. Dezember 2006 habe diese Angabe nicht mehr enthalten. Da die später stornierte Schlussrechnung als Basis für die dann erstellte Abschlussrechnung gedient habe, könne hier durchaus eine Verbindung hergestellt werden, die eine erneute Angabe des Lieferzeitpunktes entbehrlich gemacht habe. Darüber hinaus enthalte die Abschlussrechnung auch den Hinweis „Lieferung durch Spedition” und somit einen Hinweis auf einen Speditionsauftrag. Auf dem Auftrag an die Spedition C sowie dem dazugehören Lieferschein sei das Lieferdatum 20. Februar
2007 eindeutig zu entnehmen. Gem. § 31 Abs. 1 UStDV könne eine Rechnung aus mehreren Dokumenten bestehen, aus denen sich die nach § 14 Abs. 4 UStG geforderten Angaben insgesamt ergeben könnten.

Auch sei die Regelung des § 14 Abs. 4 Nr. 6 2. Halbsatz UStG i.V.m. § 14 Abs. 5 Satz 1 UStG einschlägig. Danach verzichte der Gesetzgeber in Ausnahmefällen wie beispielsweise bei Voraus- und Anzahlungsrechnungen auf die Angabe eines Leistungsdatums. Es müsse dann der Zeitpunkt der Vereinnahmung des Entgelts oder eines Teils des Entgelts in der Rechnung enthalten sein, sofern der Zeitpunkt
der Vereinnahmung des Entgelts feststehe und nicht mit dem Ausstellungsdatum
der Rechnung übereinstimme. Im der Abschlagsrechnung vom 29. Dezember 2006 und der Schlussrechnung vom 31. Dezember 2006 seien die Zeitpunkte der Teilentgeltzahlungen bestimmt gewesen. Der Rechnungsbetrag der Abschlagsrechnung vom 29. Dezember 2006 werde danach innerhalb von 30 Tagen nach Rechnungslegung fällig, der Betrag aus der Schlussrechnung vom 31. Dezember 2006 sei hingegen sofort zu entrichten. Der Umstand, dass die tatsächlichen Zahlungen erst später im Jahr 2007 erfolgt seien, sei für das Vorliegen einer ordnungsgemäßen Rechnung unerheblich.
Letztlich lägen rein formelle Fehler vor, die nach der aktuellen Rechtsprechung des EuGHs nicht dazu führen würden, dass der Vorsteuerabzug zu versagen sei, wenn die in Rechnung gestellten Leistungen als solche tatsächlich (vorliegend unstreitig) erbracht worden seien. Die gegenteilige Rechtsauffassung des Beklagten sei zwischenzeitlich durch die neuere EuGH-Rechtsprechung überholt und verstoße gegen den zwingenden Grundsatz der Umsatzsteuerneutralität nach der MwStSystRL. Das Recht auf Vorsteuer sei integraler Bestandteil des Mechanismus der Mehrwertsteuer, das grundsätzlich nicht eingeschränkt werden könne. Dieses Grundprinzip der Mehrwertsteuerneutralität verlange nach der neueren Rechtsprechung des EuGHs (Rechtssachen „Barlis 06” und „Senatex”), dass der Vorsteuerabzug gewährt werde, wenn die materiellen Anforderungen erfüllt seien, selbst wenn der Steuerpflichtige den formellen Bedingungen nicht vollumfänglich genüge. Der Besitz einer Rechnung, die den in Art. 226 MwStSystRL vorgegebenen Anforderungen entspreche, stelle aber nur eine formelle und keine materielle Bedingung für das Recht auf Vorsteuerabzug dar.
Deshalb komme der EuGH in der Rechtssache „Barlis 06” zu dem Ergebnis, dass das Recht auf Vorsteuerabzug dann nicht verweigert werden könne, weil eine Rechnung nicht die in Art. 226 Nr. 6 und 7 MwStSystRL aufgestellten Voraussetzungen erfülle. Dies solle jedenfalls dann gelten, wenn die Finanzverwaltung über sämtliche Daten verfüge um prüfen zu können, ob die vor den Vorsteuerabzug geltenden materiellen Voraussetzungen erfüllt seien. Dies bedeute im Ergebnis, dass der Vorsteuerabzug auch dann möglich sei, wenn die Rechnung nicht alle Rechnungspflichtangaben gem. § 14 und § 14a UStG enthalte. Der Steuerpflichtige müsse dann durch weitere Unterlagen und Angaben nachweisen, dass die materiellen Voraussetzungen nach Art. 168 Buchstabe a MwStSystRL bzw. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 UStG erfüllt seien. In der Rechtssache „Senatex” sei der EuGH zum Ergebnis gekommen, dass eine Rechnungsberichtigung Rückwirkung entfalte. Genau genommen stehe dahinter der Gedanke, dass der Vorsteuerabzug aus der nicht ordnungsgemäß ausgestellten Rechnung und damit trotz Nichterfüllung der formellen Voraussetzungen gewährt werde, weil im Nachhinein durch Berichtigung der Rechnung nachgewiesen werde, dass die materiellen Voraussetzungen vorlägen. Mindestvoraussetzung wäre wohl nur, dass der Steuerpflichtige eine Rechnung besitze, auch wenn sie nicht alle Rechnungsangaben enthalte. Dies lasse sich jedenfalls daraus schließen, dass der EuGH sein Urteil in der Rechtssache „Terra Baubedarf” erwähne, aber nicht relativiere oder weiter darauf eingehe. Noch nicht erschöpfend geklärt sei die Frage, ob eine Rechnung erst dann vorliege, wenn sie bestimmte Mindestanforderungen erfülle.
Vorliegend sei unstreitig, dass die durch die streitigen Rechnungen in Rechnung gestellten Leistungen tatsächlich erbracht worden seien und die Rechnung materiell-rechtlich zutreffend sei. Der Beklagte behaupte auch nicht, dass die streitigen Rechnungen nicht den formellen Mindestinhalt hätten, die eine klare und unstreitige Zuordnung zwischen unstreitiger materieller Leistung und Rechnung ermöglichten.
Die Lieferantin habe es auf mehrfache Nachfrage der Klägerin während des Klageverfahrens abschließend abgelehnt, eine geänderte Rechnung mit den nach Auffassung des Beklagte notwenden formellen Angaben zu erteilen.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid für 2007 über Umsatzsteuer vom 19. Januar 2012 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19. Mai 2016 dahingehend zu ändern, dass die Umsatzsteuer um EUR auf EUR herabgesetzt wird,
hilfsweise für den Fall des Unterliegens die Revision
zuzulassen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen,
hilfsweise für den Fall der Klagestattgabe die Revision
zuzulassen.

Er verweist zur Begründung zunächst auf seine Ausführungen in der Einspruchsentscheidung.
Weiter führt er aus, dass die streitigen Rechnungen nicht den Anforderungen des § 14 Abs. 4 UStG entsprechen würden. Die Rechnungen wiesen eine Übernahme der Maschine zum 31. Dezember 2006 aus, obwohl die tatsächliche Lieferung in 2007 erfolgt sei. Die Klägerin versuche ebenso wie auch in der Klage wegen Investitionszulage 2006, Az. 1 K 427/13, den Übergang des wirtschaftlichen Eigentums noch im Jahr 2006 zu konstruieren.
Soweit die Klägerin vortrage, dass die Abschlagsrechnung vom 29. Dezember 2006 und die Schlussrechnung vom 31. Dezember 2006 durch geänderte Rechnungen ersetzt worden seien, sei zu berücksichtigen, dass die geänderten Rechnungen keinen Stornohinweis o.ä. enthielten, so dass unklar sei, welches die richtigen Eingangsrechnungen seien. Auch stelle sich die Frage, warum eine Abschlagsrechnung mit einem Zahlungsziel von 30 Tagen und 2 Tage später eine Schlussrechnung mit sofortiger Fälligkeit gestellt worden sei.
Im Rahmen einer Umsatzsteuersonderprüfung bei der Rechnungsausstellerin sei zudem festgestellt worden, dass über die gleiche Leistung mehrere Rechnungen ausgestellt worden seien. Die streitigen Rechnungen vom 29. Dezember 2006 und 31. Dezember 2006 enthielten zudem die gleichen Rechnungsnummern. Letztlich habe die Rechnungslegung vor dem 1. Januar 2007 lediglich der Erwirkung von Subventionen in Form der Investitionszulage für die Anschaffung der streitgegenständlichen Maschine gedient.
Zwar könne nach dem EUGH-Urteil vom 15. September 2016 (C-516/14, Barlis 06) der Vorsteuerabzug nicht allein deshalb versagt werden, weil die Eingangsrechnungen nicht die Voraussetzungen von Art. 226 Nr. 6 und 7 MwStSystRL (Angabe eines Leistungszeitraums und einer
Leistungsbeschreibung) erfüllen, obwohl die Finanzbehörde über alle notwendigen
Informationen zur Prüfung der materiellen Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs
verfüge. Da die EuGH-Rechtsprechung im Widerspruch zum nationalen
Umsatzsteuergesetz stehe und das dortige Verfahren lediglich ein Zwischenstreit gewesen sei, bleibe aber hierzu die Folgerechtsprechung sowie die Umsetzung auf nationaler Ebene abzuwarten.
Darüber hinaus hätten dem Beklagten unterschiedliche Informationen über den Lieferzeitpunkt vorgelegen. Im Rahmen der Betriebsprüfung sei festgestellt worden, dass die Lieferung im Jahr 2007 und nicht in 2006 erfolgt sei.

Gründe:

Die Klage ist begründet.
Der Bescheid über Umsatzsteuer für 2017 vom 19. Januar 2012 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19. Mai 2016 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).
Der Klägerin steht der streitige Vorsteuerabzug i.H.v. EUR im Streitjahr aus den beiden Rechnungen mit identischer Rechnungsnummer vom 29. Dezember bzw. 31. Dezember 2006 zu.

Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 Umsatzsteuergesetz (UStG) kann der Unternehmer die gesetzlich geschuldete Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von einem anderen Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt
worden sind, als Vorsteuer abziehen. Die Ausübung des Vorsteuerabzugs setzt
nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 2 UStG voraus, dass der Unternehmer eine
nach den §§ 14, 14a UStG ausgestellte Rechnung besitzt. Soweit der gesondert
ausgewiesene Steuerbetrag auf eine Zahlung vor Ausführung dieser Umsätze
entfällt, ist er bereits abziehbar, wenn die Rechnung vorliegt und die Zahlung geleistet worden ist, § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 UStG.
Gemeinschaftsrechtliche Grundlage dieser Vorschrift ist im Streitjahr Art. 178 Buchst. a und Art. 226 Nr. 6 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem. Nach Art. 178 Buchst. a dieser Richtlinie ist der Steuerpflichtige befugt, „die geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen” abzuziehen, „die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert bzw. erbracht wurden oder werden”.

Eine nach § 14 UStG ausgestellte Rechnung liegt vor, wenn diese die nach § 14 Abs. 4 UStG erforderlichen Pflichtangaben enthält.
Nach § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 UStG muss eine Rechnung eine fortlaufende Nummer mit einer oder mehreren Zahlenreihen, die zur Identifizierung der Rechnung vom Rechnungsaussteller einmalig vergeben wird (Rechnungsnummer) enthalten.
Nach § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 6 UStG muss eine Rechnung zudem folgende Angabe enthalten: „… den Zeitpunkt der Lieferung oder sonstigen Leistung oder in den Fällen des Absatzes 5 Satz 1 den Zeitpunkt der Vereinnahmung des Entgelts oder eines Teils des Entgelts, sofern dieser Zeitpunkt feststeht und nicht mit dem Ausstellungsdatum der Rechnung identisch ist”. Dieser Wortlaut ist insofern nicht eindeutig, als es danach auch möglich erscheint, dass die Angabe des Zeitpunkts der Leistung entbehrlich ist, sofern dieser mit dem Rechnungsdatum übereinstimmt. Dass das Leistungsdatum auch in diesem Fall zwingend anzugeben ist, ergibt sich jedoch sowohl aus einer richtlinienkonformen Auslegung als auch aus dem Zweck des § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 6 UStG.
§ 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 sowie Nr. 6 UStG haben ihre gemeinschaftsrechtliche
Grundlage in Art. 226 Satz 1 Nr. 2 und 7 der Richtlinie 2006/112. Danach muss eine Rechnung für Mehrwertsteuerzwecke u.a. folgende Angabe enthalten: „(Nr. 2) eine fortlaufende Nummer mit einer oder mehreren Zahlenreihen, die zur Identifizierung der Rechnung einmalig vergeben wird und (Nr. 7) … das Datum, an dem die Gegenstände geliefert werden oder die Dienstleistung erbracht bzw. abgeschlossen wird, oder das Datum, an dem die Vorauszahlung im Sinne des Art. 220 Nr. 4 und 5 geleistet wird, sofern dieses Datum feststeht und nicht mit dem Ausstellungsdatum der Rechnung identisch ist”.
Aus dem Zweck des § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 6 UStG folgt, dass das Leistungsdatum, von der Ausnahme einer Voraus- oder Anzahlungsrechnung
abgesehen, grundsätzlich anzugeben ist, so jedenfalls die bisherige
Rechtsprechung des BFH.
Die Pflichtangaben in § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 bis 9 UStG und damit auch die Angabe des Leistungsdatums nach § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 6 UStG verfolgen das Ziel, die Erhebung der Umsatzsteuer und ihre Überprüfung sicherzustellen. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH müssen die Rechnungsangaben daher eine eindeutige und leicht nachprüfbare Feststellung der Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug ermöglichen (vgl. BFH-Urteil vom 6. Dezember 2007 V R 61/05, BFHE 221, 55, BStBl II 2008, 695, unter II.3.b, m.w.N.; BFH-Beschluss vom 6. April 2006 V B 22/06, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung, HFR 2006, 1023, unter II.2.a). Sofern eine Rechnung kein Leistungsdatum enthält, ist für die Finanzverwaltung nicht ersichtlich, wann die hiermit zusammenhängende Umsatzsteuer und der damit korrespondierende Anspruch
auf Vorsteuerabzug entstanden ist. Wäre ein Leistungsdatum –entsprechend der Auffassung der Klägerin– bei identischem Leistungs- und Rechnungsdatum
entbehrlich, bestünde für die Finanzverwaltung bei einer Rechnung ohne
Leistungsdatum stets die Ungewissheit, ob das Leistungsdatum mit dem Rechnungsdatum übereinstimmt oder Ersteres aus anderen Gründen fehlt. Eine leichte und einfache Erkennbarkeit des zutreffenden Voranmeldungszeitraums wäre mit einem derartigen Verständnis von § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 6 UStG nicht zu vereinbaren.
Vor dem Hintergrund dieses Normzwecks erschließt sich auch, weshalb der Gesetzgeber auf die Angabe eines Datums nur in den eng begrenzten Ausnahmefällen der Voraus- und Anzahlungsrechnungen verzichten wollte. Bei diesen ist dem leistenden Unternehmer nämlich die Angabe des Datums der Zahlung regelmäßig nicht möglich, da hier der Leistungsempfänger grundsätzlich erst nach oder gleichzeitig mit der Rechnungsstellung zahlt. (BFH-Urteil vom 17. Dezember 2008 XI R 62/07, BFHE 223, 535, BStBl II 2009, 432).
Allerdings kann sich die Angabe des Kalendermonats als Leistungszeitpunkt unter Beachtung der unionsrechtlichen Vorgaben aus dem Ausstellungsdatum der Rechnung ergeben, wenn nach den Verhältnissen des jeweiligen Einzelfalls davon auszugehen ist, dass die Leistung in dem Monat bewirkt wurde, in dem die Rechnung ausgestellt wurde (BFH-Urteil vom 15. Oktober 2019 V R 29/19 (V R 44/16), BFH/NV 2020, 298).

Der EUGH hat zudem entschieden, dass das Grundprinzip der Mehrwertsteuerneutralität verlangt, dass der Vorsteuerabzug gewährt wird, wenn die materiellen Voraussetzungen erfüllt sind, selbst wenn der Steuerpflichtige bestimmten formellen Voraussetzungen nicht genügt hat. Folglich darf die Steuerverwaltung, wenn sie über die Angaben verfügt, die für die Feststellung des Vorliegens der materiellen Voraussetzungen erforderlich sind, hinsichtlich
des Rechts des Steuerpflichtigen auf Abzug dieser Steuer keine zusätzlichen
Voraussetzungen aufstellen, die die Ausübung dieses Rechts vereiteln können (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 21. Oktober 2010, Nidera Handelscompagnie, C-385/09, EU:C:2010:627, Rn. 42, vom 1. März 2012, Kopalnia Odkrywkowa Polski Trawertyn P. Granatowicz, M. Wąsiewicz, C-280/10, EU:C:2012:107, Rn. 43, sowie vom 9. Juli 2015, Salomie und Oltean, C-183/14, EU:C:2015:454, Rn. 58 und 59 sowie die dort angeführte Rechtsprechung). Daraus folgt, dass die Steuerverwaltung das Recht auf Vorsteuerabzug nicht allein deshalb verweigern kann, weil eine Rechnung nicht die in Art. 226 Nrn. 6 und 7 der Richtlinie 2006/112 aufgestellten Voraussetzungen erfüllt, wenn sie über sämtliche Daten verfügt, um zu prüfen, ob
die für dieses Recht geltenden materiellen Voraussetzungen erfüllt sind. Dabei darf sich die Steuerverwaltung nicht auf die Prüfung der Rechnung selbst beschränken. Sie hat auch die vom Steuerpflichtigen beigebrachten zusätzlichen Informationen zu berücksichtigen. Dies wird durch Art. 219 der Richtlinie 2006/112 bestätigt, wonach einer Rechnung jedes Dokument und jede Mitteilung gleichgestellt ist, das oder die die ursprüngliche Rechnung ändert und spezifisch und eindeutig auf diese bezogen ist (EuGH-Urteil vom 15. September 2016, Barlis 06, C-516/14, EU:C:2016:690, UR 2016, 795).

Vorliegend ist jedenfalls die streitige Rechnung vom 31. Dezember 2006 trotz des Rechnungsdatums nicht vor Ausführung der Lieferung gestellt worden, so dass sie keine Anzahlungsrechnung darstellt, auf der naturgemäß auf Grund des
ungewissen Lieferdatums ein solches nicht angegeben werden kann, was den Vorsteuerabzug formell nicht hindern würde. Ob es sich bei der am 20. März 2007 bezahlten Rechnung vom 29. Dezember 2006 um eine Anzahlungsrechnung handelt, kann aus den unter e) dargestellten Gründen dahingestellt bleiben.
Übergeben wurde die Maschine am 20. Februar 2007. Der Gefahrübergang im Sinne der Lieferbedingungen erfolgte mit der Endabnahme am 30. März 2007. Dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig und ergibt sich im Übrigen aus dem Lieferschein und dem in den Akten befindlichen Endabnahmeprotokoll. Die streitige Rechnung vom 31. Dezember 2006 wurde erst mit Datum vom 26. April 2007 übersandt und am 4. Mai 2007 bezahlt.
Das Lieferdatum ist nicht angegeben. Die Angabe „Lieferung durch Spedition” erscheint zu ungenau, um hieraus im Zusammenhang mit dem Lieferschein auf das Lieferdatum zu schließen. Wenn eine solche Angabe ausreichen würde, dann könnte man letztlich immer auf ein konkretes Datum verzichten.
Zudem tragen beide Rechnungen dieselbe Rechnungsnummer, so dass aus formellen Gründen und bei ausschließlicher Anwendung des nationalen Umsatzsteuerrechts der Klägerin der streitige Vorsteuerabzug zu versagen wäre.

Da der Vorsteuerabzug vorliegend aber nur an formellen Voraussetzungen scheitern würde, die materiellen Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug aber unzweifelhaft im Jahr 2007 gegeben sind, ist nach der neueren EuGH-Rechtsprechung der Klägerin auch vorliegend der Vorsteuerabzug aus den den streitigen Rechnungen zu Grunde liegenden Lieferungen zu gewähren.
Das Gericht ist davon überzeugt, dass die Verfügungsmacht an der Maschine mit der Seriennummer in jedem Fall im Jahr 2007, entweder am Tag der Abnahme am 30. März 2007 oder bereits bei Anlieferung am 20. Februar 2007 an die Klägerin übergegangen ist. Insofern kann dahinstehen, ob es sich bei der am 20. März 2007 bezahlten Rechnung vom 29. Dezember 2006 um eine Anzahlungsrechnung handelt.
aa) Es ist zulässig – um dem Steuerpflichtigen auch unter Überwindung von Rechnungsmängeln zum materiell berechtigten Vorsteuerabzug zu verhelfen –, wenn das Gericht auf der Grundlage weiterer Unterlagen zur Überzeugung gelangt, dass die Leistung wie abgerechnet im Streitzeitraum bezogen worden ist (dazu EuGH- Urteil vom 15. September 2016 C-516/14, Barlis 06, MwStR 2016, 796, jedenfalls zur Berücksichtigung von „Annexen” zu den Rechnungen; vgl. auch EuGH-Urteil vom 15. September 2017 Senatex C-518/14 MwStR 2016, 792; Sölch/Ringleb/Leipold, 87. EL September 2019, UStG § 14 Rn. 520-529).
Der EUGH hat entschieden, dass die strikte Anwendung des formellen Erfordernisses, Rechnungen vorzulegen, gegen die Grundsätze der Neutralität und der Verhältnismäßigkeit verstößt, da dadurch dem Steuerpflichtigen auf unverhältnismäßige Weise die steuerliche Neutralität seiner Umsätze verwehrt würde (EuGH-Urteil vom 21. November 2018 – C-664/16, HFR 2019, 65, „Vadan”, Rdn. 42). Gleichwohl muss ein Steuerpflichtiger, der einen Vorsteuerabzug vornehmen möchte, nachweisen, dass er die Voraussetzungen hierfür erfüllt. Der Steuerpflichtige muss also durch objektive Nachweise belegen, dass ihm andere Steuerpflichtige auf einer vorausgehenden Umsatzstufe tatsächlich Gegenstände oder Dienstleistungen geliefert bzw. erbracht haben, die seinen der Mehrwertsteuer unterliegenden
Umsätzen dienten und für die er die Mehrwertsteuer tatsächlich entrichtet hat (EuGH-Urteil vom 21. November 2018 – C-664/16, HFR 2019, 65, „Vadan”, Rdn. 43 f.; FG Münster, Urteil vom 25. Februar 2020 – 5 K 2066/18 U –, juris).
Dies steht zwar im Widerspruch zu der bisherigen ständigen Rechtsprechung des BFH und der Auffassung der Verwaltung (BFH v. 16.1.2014 V R 28/13, BStBl II 14, 867, Rz 10 ff. m. w.N; v. 23.10.2014 V R 23/13, BStBl II 15, 313, Rz 15; v. 2.9.2010 V R 55/09, BStBl II 11, 235 m. w. N.; UStAE 15.2a; vgl. Widmann UR 17, 18, 23). Allerdings hat auch der BFH mit Beschluss vom 18. Mai 2020 (XI B 105/19, juris) zur Frage der ausreichenden Leistungsbeschreibung unter Bezugnahme auf das EUGH-Urteil vom 15. September 2016 (C-516/14, Barlis 06) entschieden, dass auch das Finanzgericht zur Berücksichtigung von über die Rechnung hinaus vorliegenden ergänzenden Unterlagen verpflichtet sei.
Voraussetzung ist aber jedenfalls, dass die materiellen Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug vorliegen. Zu diesen führt der EuGH im Urteil vom 19. Oktober 2017 C-101/16, Paper Consult, DStR 17, 2333, Rn 39 aus:
„Hinsichtlich der materiellen Anforderungen und Bedingungen ist es für das Recht auf Vorsteuerabzug nach Art. 168 Buchst. a der Richtlinie 2006/112 von Bedeutung, dass der Betreffende „Steuerpflichtiger” im Sinne dieser Richtlinie ist und dass die zur Begründung dieses Rechts angeführten Gegenstände oder Dienstleistungen von ihm auf einer nachfolgenden Umsatzstufe für die Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden und auf einer vorausgehenden Umsatzstufe von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert oder erbracht worden sind.”

Diese materiellen Voraussetzungen sind vorliegend gegeben.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 Abs. 1 und 3 FGO i.V.m. § 708 Nr. 10, § 711 Zivilprozessordnung (ZPO).

Die Revision war im Hinblick auf die Frage zuzulassen, ob der Vorsteuerabzug auch dann zu gewähren ist, wenn zwar der sich aus anderen Unterlagen ergebene Lieferzeitpunkt nicht mit dem Rechnungsdatum übereinstimmt und sich daher auch nicht aus dem Rechnungsdatum ergeben kann, was z.B. die neuere BFH-Rechtsprechung noch als ausreichend betrachtet hat (Urteile vom 1. März 2018 V R 18/17, BFH/NV 2018, 916 und vom 15. Oktober 2019 V R 29/19, BFH/NV 2020, 298) aber dennoch an Hand dieser Unterlagen feststeht, dass die materiellen Voraussetzung für den Vorsteuerabzug unzweifelhaft gegeben sind. Dass dieses an Hand der vorliegenden EuGH-Rechtsprechung möglich sein kann, hat der BFH in seiner Entscheidung vom 18. Mai 2020 (XI B 105/19) im Hinblick auf die Leistungsbeschreibung angedeutet, allerdings lagen in dem dortigen Fall ergänzende Unterlagen gerade nicht vor.

Normen:

UStG:14/4/1/4 UStG:14/4/1/6 UStG:15/1/1/1/1 MwStSystRL:178/a MwStSystRL:226/1/2 MwStSystRL:226/1/7

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